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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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Tee zuzubereiten. »Bist du sicher, dass du deine Gabe richtig eingestellt hast? Vielleicht hast du sie etwas überdreht und –«
    Â»Zeig mir deine Hand.«
    Emma streckte brav die Hand aus. Sera berührte ihren rechten Daumenballen mit dem Zeigefinger ihrer linken. Ihre Haut war warm und weich, und auf einmal hatte Emma das Gefühl, ihr ganzes Wesen liege da in den Händen ihrer Freundin, gebettet in Trost.
    Â»Hier, die Herzlinie. Prachtvoll, kräftig, will gar nicht aufhören«, sagte Sera. »Du wirst dich verlieben.«
    Â»Nein. Werde ich nicht.«
    Â»Doch.«
    Â»In wen?«
    Â»Einen Mann.«
    Â»Welchen Mann?«
    Â»Einen Mann, den du bald kennenlernen wirst. Oder den du schon kennst.«
    Â»Ich kennen keinen Mann, in den ich mich verlieben möchte.«
    Â»Ich habe nicht gesagt, dass du es möchtest. Ich habe auch nicht gesagt, dass deine Liebe erwidert wird. Ich habe nur gesagt, es wird geschehen.«
    Vielleicht sollte ich doch die Fotos bei der Agentur vorbeibringen, dachte Emma resigniert.
    Sera zog die Kristallkugel zu sich heran und blickte hinein. Ein leises Seufzen entfuhr ihren flammend roten Lippen. Emma versuchte, etwas in der Kugel zu sehen, aber da war nichts. Sera schüttelte den Kopf, einmal, zweimal, dann schob sie die Kugel rasch wieder von sich. »Was ist denn?«, fragte Emma. »Was siehst du?«
    Â»Nichts«, antwortete Sera rasch. »Sie ist – sie muss kaputt sein. Ich kann nichts sehen. Das ist …«
    Â»Pech«, sagte Emma und stand auf, um das Wasser noch einmal aufzukochen, bevor sie es über den Tee goss.
    Â»Setz dich wieder hin!«, kommandierte Sera ungehalten. »Wir sind noch nicht fertig.«
    Â»Das ist doch Blödsinn«, sagte Emma. »Denk an das Lied, das dir deinen Namen gegeben hat. Que sera, sera. Whatever will be, will be. The future’s not ours to see …«
    Â»Du musst dich nur entspannen. Jetzt setz dich schon.«
    Â»Ich will nichts mehr hören.«
    Sera achtete nicht auf sie. Sie bewegte wieder das Pendel über die Tarotkarten. »Du führst einen Prozess.«
    Â»Wie du ja weißt«, sagte Emma.
    Â»Aber du klagst gegen die Falschen.« Jetzt schlug das Pendel über dem Engel aus. »Du bringst jemanden in große Schwierigkeiten. Jemand, der dir nahesteht.«
    Wider Willen spürte Emma, wie ihr Herz schneller schlug. »Meinen Vater?«
    Â»Noch näher.«
    Â»Näher als mein Vater?«
    Â»Jemand weiter oben … Viel weiter … Du kennst ihn noch nicht, aber er ist da.« Sera schloss die Augen, ihre Stimme klang auf einmal gepresst. »Ich sehe ihn, aber er ist … er ist irgendwie … Nein, das ist unmöglich … Ich sehe dich und ihn … ihr schwebt … du packst ihn … er wehrt sich … du lässt los – du gerätst irgendwie ins Trudeln …«
    Â»Das hatten wir schon«, sagte Emma. »Deswegen war ich im Krankenhaus, schon vergessen?«
    Aber in diesem Moment sah sie plötzlich wieder das Bild vor sich, an das sie sich aus der Narkose erinnern konnte, und sie hörte das Rauschen, das zu dem Bild gehörte. Es klang wie Sturmwind von mächtigen Schwingen, den sie gespürt hatte, als sie über ihrem Körper geschwebt war. Zwischen Himmel und Erde, Leben und Tod. Alles fiel ihr wieder ein, was sie gesehen und gefühlt hatte.

    E mma saß inmitten der aufgeschlagenen Bildbände auf ihrem Bett und von jeder Seite blickten Engel zu ihr auf. Engel von Botticelli, Giotto, Raffael, Chagall, da Vinci. Wie in Trance blätterte sie eine Seite um und noch eine. Und da war es: Ein prachtvolles Gemälde von Tiepolo, das in leuchtenden Farben zeigte, wie ein Engel einen vom Gerüst stürzenden Handwerker auffing.
    Der hatte mehr Glück als ich, dachte sie. Nein, halt – er hatte nur einen besseren Schutzengel!
    Â»Du klagst gegen die Falschen.«
    Die Ärzte waren schuld, natürlich. Die Gerüstbauer, klar. Die Bankiers, der Schuft Salásy, Mark, sogar sie selbst – alle waren schuld! Aber einer trug mehr Schuld als alle anderen.
    Emma griff nach ihrem Handy, wählte, und als Pieter Schill sich verschlafen meldete, erklärte sie: »Wir verklagen meinen Schutzengel!«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Meinen Schutzengel – wir verklagen ihn!«
    Â»Wer?«
    Â»Sie und ich.«
    Â»Wegen was?«
    Â»Unterlassene Hilfeleistung.«
    Das Schweigen am

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