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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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U-Bahn-Unterführung, um auf die andere Seite der Straße zu gelan gen, und marschierte im Schein der Neonreklamen an den Häuserfassaden zum hell erleuchteten Hauptbahnhof.
    Der Amor Club war eine der schäbigsten Bars in der an schäbigen Bars, Tabledance-Clubs, Spielhallen und Sport cafés nicht gerade armen Bahnhofsstraße, in der es außerdem noch zahllose türkische Döner-Imbisse, arabische Gemüseläden, albanische Import-Export-Läden und afrikanische Stehrestaurants gab. Emma hatte versucht, Julian Kant telefonisch zu erreichen. Sie hatte an seine Wohnungstür gehämmert und in der Gemeinschaftskanzlei, in der er bis vor Kurzem ein Zimmer als Büro hatte nutzen dürfen, mit seinen Kollegen gesprochen. Sie hatte sogar das Parkhaus abgesucht, in dem er eine Zeit lang von seinem VW-Bus aus seiner Anwaltstätigkeit nachgegangen war. Der Amor Club war ihre letzte Chance, ihn aufzuspüren – ein Geheimtipp, den ihr hinter vorgehaltener Hand einer seiner ehemaligen Kollegen in der Kanzlei zugeraunt hatte.
    Sie zog die metallplattenverstärkte Eingangstür auf. Uralte Discomusik schallte ihr entgegen, »Yes Sir, I Can Boogie«. Gleich hinter der Tür verwehrte ihr ein schwerer Filzvorhang den Eintritt. Davor saß auf einem dreibeinigen Barhocker ein kräftiger Mann in Jeans und Muskelshirt, das Haar bis auf die Kopfhaut geschoren, und sagte: »Du nich.«
    Â»Ich nich?«, fragte Emma.
    Â»Nein.«
    Â»Ich nich was?«
    Â»Du hier nich rein«, sagte der Mann.
    Â»Ich bin hier aber verabredet«, log Emma.
    Â»Mit wem?«
    Â»Julian Kant.«
    Â»Kenn ich nich.«
    Â»Der Anwalt. Er muss hier sein. Ich geb Ihnen jetzt mein Handy, da ist seine Nummer gespeichert. Sie rufen ihn an und sagen ihm, dass ich da bin, ja?«
    Der Mann schien unerwartetes Mitleid zu empfinden, vielleicht ausgelöst durch den Namen Julian Kant. Emma spürte, wie der tauende Schnee ihr aus dem Haar unter den Schal und weiter den Nacken hinabrann, während sich um ihre durchnässten Stiefel eine kleine Wasserlache bildete. I can boogie, boogie woogie, drang es hinter dem Filz hervor. Der Türsteher nahm das Handy, drückte die Ruftaste, wartete. Dann sagte er: »Bis du Kant?« Lauschte. »Bis du hier in Amor Club?« Lauschte wieder. »Hokay. Hier is Frau für dich. Komm raus.« Lauschte noch einmal. »Fünf Minuten, hokay, nich länger.«
    Der Mann gab Emma das Handy zurück und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, dass sie reindurfte. »Fünf Minuten, hokay?«
    Â»Hokay«, sagte Emma. Sie schob den nach kaltem Rauch und Staub riechenden Vorhang beiseite. Dahinter führte ein finsterer, mit Linoleum ausgelegter Gang an einem Tresen vorbei in einen kleinen Raum mit einer win zigen Bühne, ein paar Tischen und mehreren Separees, in denen eine Handvoll Männer und mehrere leicht bekleidete Frauen saßen. Die Bühne war mit Lametta und einer bunten Glühbirnenkette geschmückt. An der Rampe stand ein Barhocker in einem künstlichen Schneehaufen. Auf den runden Tischen brannten Teelichter in roten Gläsern, der Boden war mit silbernem Konfetti übersät. Selbst im Halbdunkel konnte Emma erkennen, dass die Hocker an den Tischen und die Sitzgruppen in den Nischen fast farblos gesessen waren.
    Die Mädchen, die an den Tischen bedienten, trugen nur Tangahöschen aus silbernem Satin. An selbstklebenden Käppchen auf den Brustspitzen baumelten dünne Lamettabüschel.
    Emma entdeckte Kant im selben Moment, in dem er sie bemerkte. So entging ihr seine Reaktion nicht: Eine größere Ähnlichkeit mit Edvard Munchs Gemälde Der Schrei hatte sie noch auf keinem menschlichen Gesicht gesehen.
    Er hockte in einem Separee, vor ihm standen ein aufgeklappter Laptop und ein leeres Glas. Der Mann, der bei ihm saß, trug eine Wollmütze und eine Lederjacke. Durch seinen Fünftagebart zog sich eine hell schim mernde Narbe. Als er aufstand, um zu gehen, steckte er Kant ein paar Geldscheine in die Brusttasche seines Sakkos. Dann setzte er eine Sonnenbrille auf, winkte dem Barkeeper und deutete auf Kants Glas. Der Barkeeper nickte.
    Emma trat an Kants Tisch und fragte: »Darf ich mich setzen?«
    Â»Was wollen Sie?«, fragte der Anwalt.
    Â»Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Â»Wenn das stimmt –«
    Â»Es stimmt.«
    Â»â€“ dann muss es Ihnen noch schlechter gehen als sonst. So schlecht, dass ich

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