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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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der Letzte bin, der Ihnen helfen kann.«
    Â»Minus mal Minus ergibt Plus«, sagte Emma.
    Kant sah sie eindringlich an. Er war unrasiert und wirkte müde und betrunken. Sein Sakko sah aus, als hätte er es aus einem Altkleidercontainer geangelt, an dem zufällig noch ein Hemd klebte, das er gleich mit angezogen hatte. »Haben Sie vergessen, dass ich meine Prozesse zu verlieren pflege?«
    Â»Diesmal kommt es vielleicht gar nicht zum Prozess.«
    Kurz glomm Interesse in seinen trüben Augen auf – ein fahl flackernder Funke. »Es gibt die Chance auf einen Vergleich?«
    Â»Darf ich mich jetzt setzen?«
    Die Musik wechselte. Eine Klarinette und ein Zir kusklavier sorgten für Zwanzigerjahre-Stimmung, ein Scheinwerfer tauchte den Barhocker auf der Bühne in einen gelblichen Lichtkreis. Mit unsicheren Schritten trippelte ein Mädchen auf hohen Absätzen zum Hocker. Es trug ein hautenges schwarzes Trikot und hatte einen Bowlerhut auf dem Kopf. In der rechten Hand hielt es eine Zigarettenspitze. Die etwas zu dicken Beine steckten in Netzstrümpfen. Blutrote Lippen betonten die Blässe des Gesichts, das verführerisch in den fast leeren Raum lächelte.
    Â»Geben Sie mir fünf Minuten«, sagte Kant etwas lauter. »Setzen Sie sich an die Bar. Ich habe noch einen Mandanten, dann ist meine Bürgersprechstunde für heute vorbei.« Er nickte einem Mann zwei Tische weiter zu, der träge aufstand und mit der behäbigen Grazie eines Bären Kants Nische ansteuerte. Er drängte Emma beiseite, ohne sie auch nur anzuschauen, bevor er sich schwerfällig auf die Bank sinken ließ.
    What good is sittin’ alone in your room, sang eine tiefe Frauenstimme. Das Mädchen stellte den linken Fuß auf die Sprosse zwischen den Hockerbeinen und schwenkte den Hintern im Rhythmus der Musik, während es gleichzeitig den rechten Trikotträger von der lasziv zuckenden Schulter zu schieben versuchte. Life is a cabaret, schmetterte die Frauenstimme. Das Oberteil rutschte herunter und legte eine Brust frei, offenbar zu früh, denn das Mädchen geriet aus dem Gleichgewicht. Hastig griff es nach dem Hocker, um sich festzuhalten. Der Hocker kippte, die Zigarettenspitze fiel zu Boden, und dann fiel auch das Mädchen. Hart landete es mit dem Hintern auf dem Bühnenboden. Come to the cabaret, juchzte die Frauenstimme.
    Verwirrt blinzelte das Mädchen ins Scheinwerferlicht, bevor es auf einmal zu kichern begann. »Prost!«, rief ein Mann an einem der Tische. Auch in den Separees und an der Bar erklang Gelächter. Jemand klatschte Beifall. Das Mädchen versuchte auf die Beine zu kommen. Jetzt erst stellte es fest, dass es auf der Zigarette gesessen hatte. Die Glut hatte in Höhe der rechten Pobacke ein Loch in das schwarze Trikot gebrannt, von dem schwacher Rauch aufstieg. Das Gelächter schwoll an, und das Mädchen kicherte plötzlich nicht mehr. Stattdessen glitzerten Tränen auf seinen Wangen.
    Noch jemand, um dessen Seele sich niemand kümmert, dachte Emma. Vielleicht bin ich doch nicht allein. Umso notwendiger, dass endlich jemand was unternimmt.
    Â»Also, kommen wir zum Geschäftlichen«, sagte sie, als der Bär in einer Wolke von Knoblauch und Raki Kants Nische verlassen und sie seinen noch warmen Platz ein genommen hatte. »Ich möchte, dass Sie jemanden für mich verklagen.«
    Â»Wen?«
    Â»Meinen Schutzengel.«
    Kant zuckte mit keiner Wimper. Auch mit keinem anderen Körperteil. Er sah Emma nur an, als hätte er gerade etwas sehr Betrübliches über sie in Erfahrung gebracht. Endlich beugte er sich vor und übertönte den Lärm der Musik: »Haben sich in Ihrem Gehirn zufällig zwei Drähte berührt, die sich eigentlich niemals berühren dürften?«
    Danach sagte er nichts mehr, egal, was Emma vor brachte, bis sie schließlich mit hängendem Kopf den Club verließ.

    A m nächsten Abend war sie wieder da. Sie wartete, bis er einen Moment allein war, dann zwängte sie sich zu ihm in die Nische. Er hob nicht mal den Kopf von seinem Laptop. »Nein.«
    Am dritten Abend sagte er: »Noch immer – nein!«
    Am vierten Abend sah er sie nur an, ohne irgendetwas zu sagen.
    Am fünften Abend nahm er die Brille ab, rieb sich die geröteten Augen und fragte: »Was hat er Ihnen getan?«
    Â»Er hat mich im Stich gelassen.«
    Â»Wundert Sie das?«
    Â»Ich lasse mir das nicht

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