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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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woanders hinschauen, so als Engel, meine ich?«
    Â»Bis zum Jahresende bin ich ja kein Engel mehr«, sagte er, den Blick noch immer auf das hochgereckte Gesäß des Mädchens geheftet. Er blinzelte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Emma und dem Anwalt zu. »Mein offizieller Auftrag …« Er bemühte sich um Konzentration, sprach aber immer noch stockend. »… lautet, alles zu tun, um die Klage und einen möglichen Prozess abzuwenden.«
    Keine besonders geschickte Taktik, uns die Schwächen seiner Position zu offenbaren, dachte Emma. Aber vielleicht ist das nur das Blatt, das er uns sehen lassen will, und er hat noch einige Trümpfe im Ärmel. Oder es ist ihm egal, weil er einfach nicht so denkt wie ein Anwalt. Dürfen Engel etwas anderes sagen als die Wahrheit?
    Â»Und wenn Ihnen das nicht gelingt?«, fragte Julian. »Es sind schließlich nur sieben Tage.«
    Â»Genauer gesagt, wenn Sie dabei auch versagen?«, ergänzte Emma.
    Â»Das wäre katastrophal.« Murats Stimme wurde fester. »Denn dann soll ich alle Schuld auf mich nehmen, stellvertretend für jeden Schutzengel, der in den letzten Jahren Mist gebaut hat. Mea culpa, mea maxima culpa! Alles ein persönliches, mein persönliches, einzigartiges Versagen!«
    Â»Warum?«, wollte Emma wissen.
    Â»Damit nicht durch eure Klage ein Präzedenzfall ge schaffen wird und eine Welle ähnlicher Prozesse auf den Himmel zurollt. Davon würde nämlich nur einer profi tieren, der Fürst der Finsternis, der seine Marktpräsenz ungehindert weiter ausbauen und immer neue Schlüssel positionen besetzen könnte, weil unsere himmlischen Heer scharen durch die Verteidigung gebunden wären. Unter diesen Umständen –«
    Das Mädchen richtete sich wieder auf, eine Kerze in der Hand, und schlenderte zurück zum Garderobeneingang. Als es Murat erspähte, trat ein Lächeln auf sein Gesicht. Es zwinkerte ihm zu, und das Schlendern verwandelte sich in ein Schaulaufen.
    Murat verstummte, seine Augen folgten wieder dem Mädchen.
    Â»Engel Honigfels!«, sagte Emma.
    Er reagierte nicht.
    Julian wiederholte: »Unter diesen Umständen …«
    Â»â€¦ unter diesen Umständen«, Murat seufzte hörbar, »liegt mir natürlich viel daran, mich zu rehabilitieren – im Himmel und auf Erden. Und wenn ich meine Unschuld schon nicht beweisen kann, dann will ich wenigstens alles tun, was in meiner Macht steht, um –«
    Â»Sie sind also hier, um Wiedergutmachung zu leisten«, sagte Emma zufrieden.
    Â»Nicht so schnell«, sagte Julian. »Ich hätte da noch einige Fragen, Sie verstehen, um Ihre Glaubwürdigkeit zu verifizieren. Erzählen Sie uns doch mal ein bisschen vom Himmel. Wie sieht es da oben wirklich aus?«
    Murat schwieg. Plötzlich wirkte er wieder trotzig und unsicher, aber Julian ließ nicht locker: »Früher dachten wir immer, im Himmel hocken alle auf rosa Wolken, mit weißen Flügeln, über dem Kopf leuchtende Heiligenscheine, die wie goldene Hämorrhoidenkissen aussehen, und spielen den ganzen Tag Harfe oder Trompete zur Ehre Gottes, der in wallendem Gewand auf seinem Thron sitzt. Milch und Honig fließen in Strömen, und wenn man Hunger hat, fliegen einem gebratene Tauben in den Mund. Es sei denn, man hat das Glück, Moslem zu sein, dann werden einem dreiundzwanzig Huri zugeführt, was je nach Schriftdeutung des Koran wahlweise Jungfrauen oder Trauben sein können. Das alles wissen wir natürlich nicht, wir sind immer noch auf Vermutungen angewiesen. Aber jetzt haben wir ja die Gelegenheit, aus erster Hand zu erfahren, wie es da oben wirklich ist.«
    Â»Also, erst mal«, begann Murat, neuerlich abgelenkt, denn nun streckten gleich mehrere halb nackte Mädchen kichernd ihre Köpfe aus der Garderobentür, um ihn zu begutachten, »sind Himmel und Paradies nicht dasselbe – und dann …«
    Â»Ja?«
    Â»â€¦ kann ich Ihre Frage nicht beantworten.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Ich weiß nicht mehr, wie es im Himmel aussieht.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Ich weiß auch nicht mehr, wie es sich anfühlt, ein Engel zu sein. Heute Mittag, in der Kirche, da konnte ich mich noch erinnern, aber inzwischen verschwimmt alles immer mehr.«
    Â»Soll das heißen, die haben Ihnen eine Gehirnwäsche verpasst?«
    Â»So was in der Art, ja. Es ist wie – wie ein

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