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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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einer billigen Absteige nehmen die kein Plastik von der Vatikanbank, so viel ist sicher. Ein Hotel kommt also nicht infrage. Außerdem will ich Sie rund um die Uhr im Auge behalten!« Julian überlegte kurz, dann nickte er entschlossen. »Emma, Murat wohnt erst mal bei Ihnen, bis wir uns etwas überlegt haben, immerhin ist er ja Ihr Schutz …«
    Â»Nein«, sagte Emma wie aus der Pistole geschossen. »Ich lasse keinen fremden Mann bei mir übernachten.«
    Â»Er ist ein Engel«, sagte Julian.
    Emma schüttelte den Kopf. »Wie sieht das denn aus, wenn ich die beklagte Partei bei mir beherberge? Heiligabend hin oder her, das ist ja ein gefundenes Fressen für die Anwälte der Gegenseite.«
    Â»Stimmt auch wieder«, bestätigte Julian, ehe er Murat fragte: »Haben Sie eigentlich schon einen Rechtsbeistand?«
    Â»Ich hatte gehofft, ich könnte das so regeln, ohne Anwalt«, sagte Murat. »In den Gerichtsferien.«
    Â»Nein, das geht nicht«, sagte Julian. »Sie brauchen einen Anwalt, selbst wenn wir uns außergerichtlich einigen soll ten. Ich kümmere mich darum.«
    Â»Wenn er verspricht, nichts zu verraten, könnten Sie ihn doch bei sich unterbringen«, schlug Emma vor.
    Â»Das geht auch nicht.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Meine Wohnung steht im Moment nicht zur Verfügung.« Der Anwalt errötete. »Also gut, ich konnte seit einiger Zeit die Miete nicht mehr bezahlen, und gestern hat der Vermieter die Schlösser ausgetauscht.«
    Â»Und wo schlafen Sie jetzt?«, fragte Emma ver wun dert.
    Julian vermied ihren Blick. »In meinem Bus.«
    Â»Kein Problem«, sagte Murat.

    I n der Wohnung nebenan sang George Michael »Last Christmas«, und ein Korken knallte. Emma war früh nach Hause gekommen, denn ihr Vater war zur Mitternachtsmesse gegangen. Sie hatte überlegt, ihn zu begleiten, aber in Anbetracht der Stimmung, die ihretwegen gerade im Himmel herrschte, hätte dieser Kirchgang etwas Anbiederndes gehabt. Fand sie zumindest.
    Ihr Handy klingelte, als sie gerade angefangen hatte, eine Orange zu schälen. Sie erkannte Seras Nummer auf dem Display. »Es ist Heiligabend, ich bin müde und will nur noch ins Bett«, meldete sie sich.
    Â»Frohe Weihnachten«, entgegnete Sera. »Man sagt ja, es sei das Fest der Versöhnung und des Verzeihens.«
    Â»So schnell geht das nicht«, erklärte Emma.
    Sera schwieg einen Moment, als hätte sie in ihrer Kristallkugel eine andere Emma gesehen. Dann gestand sie: »Ich hatte Angst.«
    Â»Angst wovor?«
    Â»Allein zu sein, besonders jetzt an Weihnachten«, sagte Sera. »Angst vor Einsamkeit, aber auch Angst, mit jeman dem zusammen zu sein. Ich meine, wirklich zusammen zu sein. Angst vor meiner eigenen Sehnsucht. Angst, dass diese ganze Achterbahn wieder anfängt: Eifersucht, Schmerzen, Liebe! Deswegen dachte ich, beschränk dich auf Sex, hol dir, was du brauchst, steig rauf und wieder runter, und lass die Finger von den anderen Sachen.«
    Â»Welchen anderen Sachen?«
    Â»Denen, die Lücken hinterlassen, wenn sie wieder weg sind. Lücken, die nichts mehr schließen kann.«
    Â»Ich dachte immer, du hättest keine Angst«, sagte Emma überrascht. »Ich dachte, von dir könnte ich noch was lernen.«
    Â»Worüber?«
    Â»Darüber, wie man dem Leben begegnet.«
    Â»Da kannst du aus jedem Film mehr lernen.«
    Emma schwieg, bis sie sich selbst albern vorkam. »Also gut«, sagte sie. »Vergeben und vergessen.«
    Â»Gut, dann kann ich also davon ausgehen, dass du nicht wieder eine Verschwörung witterst, wenn du erfährst, dass dein Anwalt bei mir war?«
    Â»Kant? Wann? Weswegen?«
    Â»Er sagte, er braucht mich als Leumundszeugen für dich.« Sie zögerte, schien sich dann aber einen Ruck zu geben. »Es könnte sein, dass man dich demnächst als etwas übergeschnappt hinstellen wollte, und ich soll nötigenfalls beschwören, dass du bei klarem Verstand bist. Bist du bei klarem Verstand?«
    Â»Wann war das?«
    Â»Irgendwann mitten in der Nacht. Er war ziemlich betrunken und kam gerade von einem Treffen mit dir. Er hat noch was von einer Klageschrift gegen den Vati kan oder so ähnlich erzählt, irgendwas mit himmlischem Geflügel …«
    Â»Schutzengel«, verbesserte Emma.
    Â»Genau, die Gerichtsvollzieher Gottes hat er sie genannt, gefiederte Spitzel, die uns beschatten

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