Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
Vom Netzwerk:
und abhören, die alles über uns wissen und jeden noch so kleinen Verstoß nach oben melden, die Stasi des Himmels.«
    Â»So was hat Julian gesagt?«
    Â»Sogar noch mehr, aber dann ist er eingeschlafen und …«
    Â»Eingeschlafen? Wo?«
    Â»Bei mir. Er hat sich auf die Couch gesetzt, und eine Minute später war er weg.«
    Â»Und wo ist er aufgewacht?«, fragte Emma ahnungsvoll.
    Sera zögerte eine Sekunde. »In dem Zusammenhang wollte ich dich noch was fragen.«
    Â»Ja?«
    Â»Hast du was dagegen, wenn ich was mit ihm anfange – gewissermaßen als Weihnachtsgeschenk?«

U m Mitternacht klingelte jemand Sturm. Erst tat Emma, als wäre sie nicht da. Aber das Klingeln wiederholte sich immer dringlicher, bis sie sich aus dem Bett rollte, um nachzuschauen, was los war. Sie warf sich ihren Morgenrock über und ging zur Tür, um durch den Spion zu spähen. Sie seufzte und öffnete.
    Zitternd und sehr blass unter seiner Bräune stand Murat im Dunkel des Treppenhauses, die Hände in den Taschen der Lederjacke vergraben. »Mir ist kalt«, sagte er.
    Â»Woher wissen Sie, wo ich wohne?«
    Â»Ich bin dein Schutzengel.« Er schüttelte den Kopf, als wäre er enttäuscht von sich, von ihr, von der ganzen Situation, die ihn beschämte und sie auch. In seinen blauen Augen glänzte ein wachsamer Ausdruck im Licht, das durch den Türspalt auf sein Gesicht fiel. »Hast du schon geschlafen?«
    Â»Wer schläft denn am Heiligabend um Mitternacht?« Wieder fiel ihr auf, wie fein geschnitten seine Züge waren, ganz ohne die Schärfe normaler Erwachsener. Die Haut über den hoch angesetzten Wangenknochen schim merte wie Bronze. Er wirkte sehr ernst und etwas ver krampft. »Darf ich reinkommen? Ich will mich nur kurz aufwärmen. Das Parkhaus war eisig.«
    Â»Was ist mit Julian?«
    Â»Er hat einen Schlafsack.«
    Emma trat beiseite. Murat schob sich an ihr vorbei in den Flur, und im nächsten Augenblick war er schon im Wohnzimmer. Er sah sich um und nickte, als wäre ihm sofort alles vertraut. Er blieb bei dem Tisch mit den Orangen stehen, nahm eine davon in die Hand. »Machst du mir einen Tee?«, fragte er. »Am liebsten Pfeffer minz.«
    Â»Kommt sofort«, sagte Emma sarkastisch. »Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie nicht vielleicht einen heißen Pfefferminztee möchten. Ich habe mich schon gefragt, wo Sie so lange bleiben.« Sie ging in die Küche und setzte Wasser auf. Durch die Tür behielt sie Murat im Auge. »Hey, was wird das denn?!«
    Er streifte die Schuhe ab, ohne die Schnürsenkel aufzumachen. Fuhr aus den verwaschenen Jeans. Hatte plötzlich nur noch die Unterhose an. Rasch sah Emma weg, widerstand der Versuchung, hinzuschauen, herauszufinden, ob Engel ein Geschlecht hatten. Als sie wieder hinsah, war er im Schlafzimmer verschwunden. »So geht das aber nicht.« Eilig folgte sie ihm, den Teebeutel in der Hand.
    Seine Haut glänzte seidig im Licht der Nachttischlampe, überall vom selben hellen Braun. Ohne etwas zu sagen, rutschte er unter die Decke und blieb mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen. Wenig später verrieten seine gleichmäßig tiefen Atemzüge, dass er eingeschlafen war.
    Emma schob den Teebeutel in die Morgenrocktasche, setzte sich auf die Bettkante und schüttelte Murats Schulter, aber er rührte sich nicht. Er schlief, reglos, sein Atem veränderte sich nicht. Was habe ich mir da bloß eingebrockt?, dachte sie. Plötzlich fühlte sie sich so müde, dass allein der Gedanke, von der Bettkante aufzustehen, sie überforderte. Nach kurzem Zögern streckte sie sich neben dem Schlafenden auf der Decke aus. Als sich der Wasserkocher in der Küche mit einem Klick ausschaltete, schlief sie bereits.
    Nur einen Herzschlag später, so schien es, wurde sie von einem seltsamen Laut geweckt. Sie bemerkte, dass jemand neben ihr lag, und es dauerte einen Moment, bis ihr wieder einfiel, wer. Er schien im Schlaf mit sich selbst zu reden, aber in einer Sprache, die sie nicht verstand. Hebräisch? Unruhig warf er den Kopf hin und her, ohne die Augen zu öffnen. Mit der linken Hand hielt er das Kopfkissen gegen die Brust gepresst.
    Emma lauschte eine Weile den leisen, unverständlichen Worten, dann legte sie ihm eine Hand auf die feuchte Stirn. Er wachte nicht auf. Sie betrachtete den halb zugedeckten schlanken Körper, der sich im Schlaf

Weitere Kostenlose Bücher