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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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sein?«
    Murat setzte die Ray Ban auf, die ihm von der Leasingfirma mitsamt den Zündschlüsseln ausgehändigt worden war. »Nur so viel: Es gibt gute und es gibt schlechte Tage, für Engel genauso wie für Menschen.« In seiner Stimme lag Wehmut. »An den guten Tagen durchströmt einen ein Bewusstsein von grenzenloser Macht, man fühlt sich un gezähmt und frei, als könnte man mit dem nächsten Schritt das ganze Universum durchqueren.«
    Â»Und an den schlechten?«
    Â»Da weiß man nicht, wo einem der Kopf steht, und man hat das Gefühl, dass jeder einen anpinkelt«, antwortete Murat schroff.
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Antiquitätengeschäfts, und der Baron trat heraus. Er trug einen grünen Lodenmantel und einen Hut mit einer Fasanen feder an der Krone. Er schloss die Tür ab, schaute die Straße hinauf und hinunter, dann marschierte er zur nächsten Ecke, von wo er in Richtung Oper abbog.
    Â»Ist er das?«, fragte Murat.
    Â»Ja.«
    Der Engel startete den Ferrari, dessen Motor die Häu serfassaden mit seinem tiefen Röhren erzittern ließ. Lang sam steuerte er den Wagen über das glatte Pflaster und bog um dieselbe Ecke wie der Baron.
    Auf dem Boulevard betrat Salásy ein kleines Café unter den Arkaden gegenüber der Oper, durch dessen Scheiben man auffallend viele hübsche Mädchen an den Tischen sitzen sehen konnte.
    Murat jagte den Motor noch einmal hoch, wie sich das für einen echten Playboy gehörte. Er wendete mitten auf der Fahrbahn und hielt mit quietschenden Reifen direkt vor dem Café, vor dem wie durch ein Wunder gerade ein Parkplatz frei wurde. »Drücken Sie mir die Daumen«, sagte er, stieg aus und betrat das Café.
    Sämtliche der kleinen, runden Tische in dem von Art déco geprägten Raum waren besetzt. Nur an dem Ecktisch, an dem Baron von Salásy sich gerade niedergelassen hatte, war noch Platz.
    Mit wiegenden Schritten schlenderte Murat auf den Baron zu. »Ist der Stuhl da noch frei?«, fragte er. Salásy nickte, ohne von der kleinen Speisekarte aufzuschauen. Murat setzte sich und nahm die Ray Ban ab, die er zusammen mit den Ferrari-Schlüsseln auf den Tisch legte. Er sah sich um und betrachtete die Mädchen, die seine Blicke interessiert erwiderten. Der Baron schien keiner lei Notiz von ihm zu nehmen. Murat streckte die Hand nach der Speisekarte aus. »Darf ich? Ein herrlicher Tag, nicht? Sonne, Schnee, blauer Himmel, so macht der Winter Spaß.«
    Der Baron klappte die Karte zu und reichte sie Murat, als hoffte er, ihn damit zum Schweigen zu bringen. »Zweifellos.«
    Murat ließ seinen Blick noch einmal über die Mädchen an den anderen Tischen schweifen. »Weihnachsurlaub – da wimmelt es plötzlich überall von Hasen.«
    Â»Hasen?«, wiederholte der Baron mit gerunzelter Stirn.
    Â»Nennt man die nicht mehr so? Hasen? Käfer? Bun nies? «
    Â»In unserem Kulturkreis ist ein Hase ein Tier«, belehrte Salásy ihn. »Vier Beine, lange Löffel, pelzig. Auch Meister Lampe, im Volksmund. Mümmelmann. Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Mein Name ist Hase …«
    Â»Honigfels.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Mein Name ist Murat Honigfels.«
    Â»Nein, nein, mein Name ist nicht Hase, ich heiße von Salásy. Baron von Salásy.«
    Â»Angenehm.« Murat sah aus dem Fenster und spielte scheinbar gedankenverloren mit dem Ferrari-Schlüssel, den Salásy bereits ins Auge gefasst hatte. »An einem Tag wie heute erscheint einem das Leben wie ein Geschenk.« Eine Prise Schwermut mischte sich in seine Stimme, als er fortfuhr: »Besonders, wenn man kürzlich erst mit dem Tod in Berührung gekommen ist.«
    Â»Mit dem Tod?« Widerstrebend heuchelte der Baron das Interesse, das die Worte verlangten. »Jemand, der Ihnen nahestand?«
    Â»Mein Vater ist gestorben. Ganz plötzlich. Unerwartet.«
    Â»Das tut mir leid, Herr Honigfels.« Salásy legte die Stirn in Falten, grübelte. »Honigfels, Honigfels, Honigfels … Ihr Vater war wohl nicht zufällig der bekannte Kunstsammler Honigfels aus Wien?«
    Â»Nein, mein Vater hat nie in Wien gelebt. Aber in der Tat war er Kunstsammler.« Murat breitete die Arme aus wie Krebszangen. »Hat alles zusammengerafft, Gemälde, Skulpturen, Vasen, Sie machen sich keine Vorstellung.« Die Zangen schlossen sich mit einem Ruck. »Und

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