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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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herausgearbeitet. Die vom Alter hervorgerufenen Verunreinigungen sind eindeutig künstlich. Und der feinen Rissbildung der Oberfläche merkt man an, dass sie im Ofen simuliert worden ist. Bei etwa zweihundert Grad, würde ich sagen.«
    Â»Es gefällt mir trotzdem«, sagte Emma und dachte, noch eine Kopie, um das Wort Fälschung zu vermeiden.
    Â»So oder so, es ist genau das, was ich brauche«, meinte Wenzel. »Und dieses Service hier!«
    Murat erschien im Treppenaufgang. Äußerlich sah er noch genauso aus wie vor einigen Minuten, als er hinuntergegangen war. Trotzdem war etwas an ihm anders. Als hätte er Fieber bekommen, dachte Emma. Er schien zu glühen.
    Â»Ich habe sie mir ganz anders vorgestellt«, sagte er leise. »Ganz anders.«
    Emma sagte: »Ja, wenn man Ignaz Günther kennt, dann ist diese Schnitzarbeit …«
    Â»Wir haben sie nie zu Gesicht bekommen«, erklärte er. »Jeder weiß, dass sie da ist, die Mutter von Jesus. Aber da oben macht man sich kein Bild von der Heiligen Familie.«
    Â»Meinst du, sie ist echt?«, fragte Emma.
    Murat zuckte mit den Schultern und wurde wieder der, den sie kannte. »Ich verstehe nichts von Kunst, aber ich weiß, was ich eben gespürt habe. Mein Gefühl war echt.« Er entdeckte die Ming-Vase auf dem Stuhl. »Ist das die Vase, die du fallen gelassen hast?«
    Emma sah entsetzt, wie er die Vase in der Luft hin und her drehte. »Stell das hin! Sie hat – hatte – einen unschätzbaren Wert! Sie gehört …« Der Name des Bankiers wollte ihr nicht über die Lippen; sie sah nur Schilfstengls empörtes Gesicht vor sich. Entschlossen nahm sie Murat die Vase aus den Händen.
    Der Monsignore drängte schon wieder zum Aufbruch. »Wir sollten nicht unnötig Zeit verlieren. Du nimmst das Gemälde, Murat. Haben Sie ein Tuch zum Einschlagen, Emma? Es soll doch echt wirken …«
    Â»Ich will lieber gar nicht wissen, was ihr vorhabt«, sagte Emma.
    Â»Das ist auch besser«, bestätigte Wenzel.
    Sie sah ihm nach, wie er mit dem Engel, dem gefälsch ten Vermeer und dem Augsburger Rokokoservice den Laden verließ. Dann nahm sie die blauweiße Porzellanvase aus der Zeit der chinesischen Ming Dynastie, um sie noch einmal im hellen Tageslicht zu betrachten. Vielleicht, dachte sie, vielleicht hat er ja doch die Gabe, Wunder zu wirken. Vielleicht stelle ich jetzt fest, dass die Vase keinen Sprung mehr hat, weil er seinen Fehler wiedergutmachen wollte – einen seiner Fehler. Ich nehme die Vase, gehe damit zum Fens ter, und es gibt keinen Sprung mehr, nicht mal einen haar feinen Riss. Er ist einfach verschwunden.
    Sie trat ans Fenster und sah genau hin. Und da war er: kein haarfeiner Riss, sondern ein Sprung. Sorgfältig geklebt, aber eindeutig ein Sprung. Enttäuscht blickte sie hinaus auf die Straße und dachte: Was hast du denn erwartet? Er ist kein Engel, und er besitzt auch keine über irdischen Fähigkeiten. Hier nicht und im Himmel auch nicht, weil er da gar nicht herkommt. Er ist ein schäbiger Betrüger, das ist alles.

    M onsignore Vitus Wenzel wanderte gemessenen Schrittes durch den Verkaufsraum von Salásy Art et Antiquités, betrachtete hier ein Stück genauer, nahm dort ein anderes in die Hand.
    Ohne dass er ihn kommen gehört hatte, stand auf ein mal ein aufdringlich nach Tabak und Kölnisch Wasser riechender Mann hinter ihm. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Béla von Salásy.
    Â»Nein, danke, ich schaue mich nur ein wenig um«, antwortete der Monsignore mit einem herzlichen, von italienischen Dorfpfarrern abgeschauten Lächeln.
    Die Türglocke erklang, und Murat betrat den Laden, in beiden Händen einen schweren Karton, auf dem das in ein Tuch geschlagene Gemälde lag.
    Sofort eilte Salásy auf ihn zu. »Herr Honigfels, was für eine angenehme Überraschung! Ich hatte gar nicht gehofft, Sie so schnell wiederzusehen.« Sein Blick klebte an dem verpackten Gegenstand. »Gehört das zur Hinterlassenschaft Ihres verstorbenen Herrn Vaters?«
    Murat nickte. »Ich habe einfach irgendwas genommen, aufs Geratewohl, um Ihnen einen ersten …«
    Gierig griff Salásy nach dem Gemälde. »Darf ich?«
    Â»Nur zu!«
    Salásy riss schon das Tuch vom Rahmen, da erspähte er in dem oben nicht ganz geschlossenen Karton eine silberne Tasse. Hastig legte er das Bild beiseite, holte die Tasse heraus

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