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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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zum Schlafzimmer, denn in der Stille des Nachmittags waren ihre Zweifel zurückgekehrt – Zweifel daran, dass er ein Engel war, Zweifel, dass sie ihn ein paar Sekunden lang wirklich mit Flügeln gesehen hatte, Zweifel an ihrem ganzen Vorhaben, Zweifel sogar an ihrem Verstand.
    Sie setzte sich zu Murat auf die Bettkante, eine Injektionsnadel in der einen Hand, in der anderen ein Glasröhrchen. Engel haben keine DNS, dachte sie, denn sie sind keine Menschen, sie sind nicht mal irdisch. Kein irdisches Leben, also auch keine Erbinformationen. Keinen genetischen Code, in dem sie gespeichert waren. Wenn sie Murats Blut in einem Labor untersuchen ließ, und unter dem Mikroskop tauchten diese ganzen Zellketten auf, an die sie sich aus dem Biologieunterricht erinnerte, dann war er kein Engel, sondern ein Mensch. Ein Betrüger. Gefieder hin oder her.
    Als sie ihn tief wie ein Kind in ihrem Bett schlafen sah – kaum zugedeckt, mit angezogenen Beinen und wir rem Haar –, zögerte sie. Doch dann gab sie sich einen Ruck: die Armbeuge, da stachen die Ärzte immer die Nadel rein, oder ins Ohrläppchen. Nein, am besten eine Vene. Vorsichtig, das Röhrchen für das Blut griffbereit zwischen den Zähnen, beugte sie sich über Murats linken Arm. Sie setzte die Spitze der Nadel auf seine weiche, dunkle Haut, unter der …
    Er öffnete die Augen. »Was machst du da?«
    Vor Schreck fiel ihr das Röhrchen aus dem Mund.

    Â» I ch muss zugeben, dass ich zunächst auch skeptisch war«, gestand der Monsignore dem Engel am Morgen des siebenundzwanzigsten Dezember. »Jeder Geistliche wünscht sich natürlich, einmal einen Beweis für die Existenz Gottes zu erhalten. Einen Blick ins Paradies werfen zu dürfen, ohne, nun ja, äh, tot zu sein. Einem leibhaftigen Engel zu begegnen. Kann man das sagen – leibhaftig? Aber dass ausgerechnet mir das widerfahren soll … Immerhin bin ich nicht ganz ohne Fehl. Und dann Ihre Frage nach diesem Wagen …« Fast zärtlich strich der Mon signore über die muschelförmigen Ledersitze des Ferrari Testarossa, in dem sie saßen, eine Straßenecke von Béla von Salásys Antiquitätengeschäft entfernt.
    Murat beobachtete weiter die Tür des Ladens, dessen Schaufenster das gleißende Sonnenlicht zurückwarfen. »Meine Tarnung muss ja glaubwürdig wirken«, sagte er.
    Â»Was allerdings Ihre anwaltliche Vertretung betrifft, muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich nur Theologe bin und kein Jurist wie etwa der Advocatus Diaboli bei den Verfahrungen zur Heiligsprechung –«
    Â»Ich weiß«, beruhigte Murat ihn. »Mir war trotzdem sofort klar, dass Sie jemand sind, auf den man zählen kann, wenn man Schaden von der Kirche abwenden will. Also lassen Sie uns noch mal den Plan durchgehen. Haben Sie alles verstanden?«
    Der Monsignore nickte. »Ich betone aber, dass ich mich an der Ausführung vor allem beteilige, um das Schlimmste zu verhüten, das heißt, einen Prozess! Wenn bekannt wird, dass Vitus Wenzel, ein Monsignore vom Erzbischöflichen Ordinariat, an so einer Gaunerei …«
    Â»Vergessen Sie nicht, es ist für einen guten Zweck«, versuchte Murat ihn zu beruhigen. »Wenn Sie mir nicht vertrauen, können Sie ja schnell noch ein Stoßgebet zum Himmel hochschicken und um Seinen Beistand bitten.«
    Â»Ein Gebet ist ein Gespräch mit Gott. Was ich ihm im Moment zu erzählen habe, würde er wohl nicht hören wollen.«
    Â»Er hört meistens sowieso nicht zu.« Murat schaute auf die Uhr im Armaturenbrett, dann zur Fassade von Salásys Geschäft. »Also, ich fasse noch mal zusammen: Dieser Baron Salásy und ich lernen uns wie zufällig kennen. Ich stelle mich ihm als Unternehmersohn aus Konstantinopel vor, der eine Kunstsammlung geerbt hat –«
    Â»Das heißt heute Istanbul«, verbesserte der Monsignore ihn. »Und Sie sind hier geboren, Ihr Vater lebte in Deutschland, das klingt glaubwürdiger. Er hat sein Geld als Reiseunternehmer gemacht, mit Gruppenfahrten in die alte Heimat, nach Anatolien. Honigfels Tours. «
    Murat trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. »Wann kommt er denn endlich?«
    Â»Er macht immer um dieselbe Zeit Mittagspause. Würden Sie mir noch eine allerletzte Frage beantworten?«
    Â»Wenn ich kann.«
    Â»Erinnern Sie sich wirklich nicht daran, wie es ist, ein Engel zu

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