Der Afghane
hingen dort schwere, bleigraue Wolken, aus denen der Schnee herabrieselte. Vorher, in der Zeit, in der die Christen Bäume schmückten und Lieder sangen, war der Himmel von eiskaltem Blau gewesen.
Dann hatte Izmat Adler und Raben kreisen sehen. Kleinere Vögel waren flatternd oben auf der Mauer gelandet, hatten zu ihm herabgespäht und sich vielleicht gefragt, warum er nicht mitkommen konnte. Aber was er am liebsten sah, waren die Flugzeuge.
Manche waren Militärflugzeuge, das wusste er, obwohl er noch nie etwas von den Cascade Mountains oder von der McChord Air Base fünfzig Meilen weiter westlich gehört hatte. Aber er hatte amerikanische Kampfbomber im Anflug auf Nordafghanistan gesehen, und er wusste, dass diese hier die gleichen waren.
Dann waren da die Linienmaschinen. Sie waren unterschiedlich lackiert und trugen vielfältige Embleme auf ihren Leitwerken, aber er wusste genug, um sich darüber im Klaren zu sein, dass es sich nicht um staatliche Insignien handelte, sondern um Firmenlogos. Das Ahornblatt war die einzige Ausnahme. Manche hatten dieses Blatt auf dem Leitwerk, sie waren immer im Steigflug, und sie kamen immer von Norden.
Wo Norden war, konnte er leicht erkennen. Im Westen sah er die Sonne untergehen, daher betete er in die entgegengesetzte Richtung, nach Mekka, weit im Osten. Er vermutete, dass er in den USA war, denn die Stimmen seiner Bewacher klangen eindeutig amerikanisch. Warum kamen dann Flugzeuge mit einem anderen Staatswappen aus dem Norden? Der Grund konnte nur sein, dass dort oben ein anderes Land lag, ein Land, in dem die Menschen zu einem roten Blatt auf weißem Grund beteten. Und so ging er auf und ab und auf und ab und grübelte über das Land des roten Blattes.
Was er sah, waren die Air-Canada-Maschinen, die in Vancouver starteten. In einer schmuddeligen Hafenbar in Port of Spain, Trinidad, wurden zwei Seeleute von einer einheimischen Bande überfallen und mit geübten Messerstichen umgebracht.
Als die Polizei eintraf, waren sämtliche Zeugen von Amnesie befallen und konnten sich nur erinnern, dass fünf Angreifer, die wohl von den Inseln stammten, den Streit provoziert hatten. Mehr bekam die Polizei nie heraus, und niemand wurde festgenommen.
Tatsächlich waren die Killer einheimische Ganoven, die nichts mit islamistischem Terrorismus zu tun hatten. Aber der Mann, der sie für die Tat bezahlt hatte, war ein leitendes Mitglied der Terrororganisation Jamaat al-Muslimeen, der führenden Unterstützergruppe von al-Qaida auf Trinidad.
JaM hat in den westlichen Medien noch wenig Beachtung gefunden, doch sie wächst seit einigen Jahren stetig, genau wie andere Gruppen überall in der Karibik. In dieser von eingefleischtem Christentum beherrschten Gegend findet der Islam ganz im Stillen immer mehr Zuwachs durch die massenhafte Einwanderung aus Nahost, Zentralasien und dem indischen Subkontinent.
Das Geld, mit dem JaM die Mörder bezahlt hatte, kam von einem Konto, das der verstorbene Mr. Tewfik al-Qur eingerichtet hatte, und den Einsatzbefehl hatte Dr. al-Khattabs Abgesandter gegeben, der sich nach wie vor auf der Insel aufhielt.
Anhand der Brieftaschen, die den Toten gelassen worden waren, identifizierte die Polizei von Port of Spain sie als venezolanische Staatsbürger und Matrosen eines venezolanischen Schiffes, das noch im Hafen lag.
Der Kapitän, Pablo Montalban, war entsetzt und betrübt über den Verlust seiner beiden Matrosen, aber er konnte nicht allzu lange im Hafen bleiben.
Konsulat und Botschaft Venezuelas wurden mit der Überführung der Toten nach Caracas betraut, und Kapitän Montalban nahm Kontakt zu seinem örtlichen Agenten auf, um zwei Ersatzleute zu finden. Der Agent hörte sich um und hatte bald Glück: Er fand zwei höfliche und arbeitswillige junge Inder aus Kerala, die für ihre Überfahrt um die halbe Welt gearbeitet hatten. Zwar besaßen sie keine Einbürgerungspapiere, aber tadellose Seemannsbücher.
Sie wurden angeheuert und kamen zu den anderen vier Seeleuten, die die Besatzung bildeten. Mit nur einem Tag Verspätung konnte die Doña Maria ablegen.
Kapitän Montalban wusste unbestimmt, dass Indien größtenteils von Hindus bewohnt wurde, aber er hatte keine Ahnung, dass es dort auch hundertfünfzig Millionen Muslime gibt. Er ahnte nichts von der Radikalisierung indischer Muslime, die ebenso energisch betrieben wird wie in Pakistan, und wusste auch nicht, dass Kerala, einst ein Treibhaus für den Kommunismus, inzwischen besonders empfänglich für
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