Der Afghane
Kämpfer und Prediger und sonst nichts. Nachdem er seine Revolution begonnen hatte, indem er einen Vergewaltiger an einem Geschützrohr erhängte, zog er sich in die Abgeschiedenheit seiner südlichen Festung Kandahar zurück. Seine Anhänger waren Erscheinungen aus dem Mittelalter, und zu den vielen Dingen, die sie nicht kannten, gehörte die Angst. Sie verehrten den einäugigen Mullah hinter seinen Mauern; bevor die Taliban schließlich fielen, sollten achtzigtausend für ihn sterben. Und der hochgewachsene Saudi im fernen Sudan, der die zwanzigtausend jetzt in Afghanistan stationierten Araber befehligte, beobachtete das alles und wartete ab.
Izmat Khan schloss sich einer lashkar von Männern aus seiner Heimatprovinz Nangarhar an. Rasch fand er Respekt bei ihnen, denn er war reif, er hatte gegen die Russen gekämpft und war verwundet worden.
Die Taliban-Armee war keine richtige Armee: Sie hatte keinen kommandierenden General, keinen Generalstab, kein Offizierskorps, keine Dienstgrade und keine Infrastruktur. Jede lashkar war eine halb unabhängige Einheit unter dem Befehl ihres Stammesführers, der oft nur aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Mutes im Kampf als Führer anerkannt wurde – und natürlich wegen seiner Frömmigkeit. Wie die ursprünglichen Muslimkrieger der ersten Kalifate fegten sie ihre Gegner mit fanatischem Mut beiseite, was ihnen den Ruf der Unbesiegbarkeit verlieh, sodass ihre Gegner oft kapitulierten, ohne dass ein Schuss gefallen war. Als sie schließlich auf echte Soldaten trafen, auf die Streitmacht des charismatischen Tadschiken Schah Massud, erlitten sie ungeheure Verluste. Ein Sanitätskorps hatten sie nicht, deshalb verreckten ihre Verwundeten am Straßenrand. Aber sie drängten weiter.
Vor den Toren Kabuls verhandelten sie mit Massud, der ihre Bedingungen jedoch nicht akzeptierte, sondern sich in seine Berge im Norden zurückzog, wo er siegreich gegen die Russen gekämpft hatte. So begann der nächste Bürgerkrieg, der zwischen den Taliban und der Nordallianz des Tadschiken Massud und des Usbeken Dostum. Es war das Jahr 1996. Nur Pakistan (das ihr auf die Beine geholfen hatte) und Saudi-Arabien (das sie finanzierte) hatten die verrückte neue Regierung Afghanistans anerkannt.
Für Izmat Khan waren die Würfel gefallen. Sein alter Verbündeter Schah Massud war jetzt sein Feind.
Und weit im Süden landete ein Flugzeug. Es brachte den hochgewachsenen Saudi ins Land, der acht Jahre zuvor in einer Höhle in Jaji mit ihm gesprochen hatte, und den rundlichen Arzt, der ein Stück sowjetischen Stahl aus Izmats Bein geschnitten hatte. Sofort erwiesen beide Mullah Omar ihre Reverenz; sie zahlten ihm einen hohen Tribut an Geld und Ausrüstung und sicherten sich damit seine lebenslange Loyalität.
Nach Kabul trat eine Pause im Bürgerkrieg ein. Nahezu die erste Tat der Taliban in Kabul war es, den gestürzten Expräsidenten Nadschibullah aus seinem Hausarrest zu zerren, zu foltern, zu verstümmeln und hinzurichten, bevor sie den Leichnam an einem Laternenmast aufhängten. Damit stand die Tonart der nun einsetzenden Herrschaft fest. Izmat Khan hatte nichts übrig für Grausamkeit um ihrer selbst willen. Er hatte hart genug für sein Land gekämpft, um vom Freiwilligen zum Befehlshaber seiner eigenen lashkar aufzusteigen, und diese wiederum wurde immer größer, je weiter seine Führungsqualitäten sich herumsprachen, bis sie eine der vier Divisionen der Taliban-Armee geworden war. Schließlich bat er um die Erlaubnis, in seine Heimatprovinz Nangarhar zurückzukehren, und man ernannte ihn zum Provinzgouverneur. Von Jalalabad aus konnte er seine Familie besuchen, seine Frau und sein Kind.
Von Nairobi oder Dar es Salaam hatte er noch nie gehört, auch nicht von einem Mann namens William Jefferson Clinton. Viel dagegen hatte er von einer Gruppe gehört, die jetzt in seinem Land beheimatet war und sich al-Qaida nannte. Er wusste, dass ihre Anhänger den globalen Dschihad gegen alle Ungläubigen ausgerufen hatten, vor allem gegen den Westen und ganz besonders gegen ein Land namens Amerika. Aber das war nicht sein Dschihad.
Er führte seinen Kampf gegen die Nordallianz, um sein Vaterland ein für alle Mal zu einigen, und die Allianz war in zwei kleine, obskure Enklaven zurückgedrängt worden. Die eine war eine Gruppe von Widerstandskämpfern des Hazara-Stammes, eingeschlossen in den Bergen von Dara-i-Suf. Massud selbst saß im unzugänglichen Tal des Pandschir, in der nordöstlichen Ecke
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