Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
nahmen sie im Bürgerkrieg zwischen den Stammessatrapen für niemanden Partei. Gegen wen wollten sie also kämpfen? Dann erfuhr er, dass das alles geschah, weil der große Araber, den seine Anhänger Scheich nannten, den Dschihad gegen seine eigene Regierung in Saudi-Arabien und gegen den Westen ausgerufen hatte.
    Doch Izmat Khan hatte keinen Streit mit dem Westen. Der Westen hatte ihnen mit Waffen und Geld geholfen, die Sowjets zu besiegen, und der einzige kafir, dem er je begegnet war, hatte ihm das Leben gerettet. Dies war nicht sein heiliger Krieg, nicht sein Dschihad, entschied er. Seine Sorge galt seinem Land, das allmählich im Wahnsinn versank.
     

SECHS
    Das Fallschirmjägerregiment nahm Mike Martin wieder auf und stellte keine Fragen, denn so lautete die Anweisung, aber allmählich umgab ihn der Ruf des Absonderlichen. Zweimal war er innerhalb von vier Jahren ohne Erklärung dienstabwesend gewesen und jedes Mal sechs Monate weggeblieben; so etwas führte bei jeder militärischen Einheit zu hochgezogenen Augenbrauen am Frühstückstisch. 1992 schickte man ihn auf das Staff College nach Camberley und von dort zurück ins Ministerium, nun als Major.
    Er arbeitete wieder im Büro der Military Operations Unit, aber jetzt als Staff Officer Two in der Abteilung drei, die für den Balkan zuständig war. Dort tobte immer noch der Krieg. Die Serben unter Milosevič waren die herrschende Kraft, und die als »ethnische Säuberungen« bekannten Massaker wurden von der Welt mit Abscheu verfolgt. Zwei Jahre lang fuhr Martin im dunklen Anzug aus dem Vorort nach London, gequält von Tatendurst.
    Offiziere, die im SAS gedient haben, können zu einem zweiten Turnus zurückkehren, jedoch nur auf Einladung. Der Ruf aus Hereford kam Ende 1994. Es war das Weihnachtsgeschenk, auf das er gehofft hatte. Aber Lucinda war nicht erfreut.
    Sie hatten kein Kind, und ihre beiden beruflichen Laufbahnen strebten auseinander. Lucinda hatte ein großartiges Angebot; sie nannte es die Chance ihres Lebens, doch es würde bedeuten, dass sie in den Midlands arbeiten musste. Die Ehe stand unter Druck. Mike Martin bekam den Befehl, das Kommando über die B Squadron, 22 SAS, zu übernehmen und sie verdeckt nach Bosnien zu führen. Nach außen hin wären sie Teil der UN-Friedensmission UNPROFOR. Tatsächlich sollten sie Kriegsverbrecher jagen und fangen. Details durfte er Lucinda nicht anvertrauen – nur, dass er wieder fortgehen würde.
    Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie vermutete, er gehe wieder nach Arabien, und stellte ihm ein regelrechtes Ultimatum: Du kannst deine Fallschirmjäger, den SAS und deine verdammte Wüste haben, oder du kannst mit mir nach Birmingham kommen und eine Ehe führen. Er dachte darüber nach und entschied sich für die Wüste.
     
    Fern von der Abgeschiedenheit der Hochlandtäler in den Weißen Bergen starb Izmat Khans alter Parteiführer Yunis Khalis, und die Hizb-i-Islami-Partei geriet vollends unter die Kontrolle Hekmatjars, den Izmat Khan wegen seines grausamen Rufes verabscheute.
    Als sein Kind im Februar 1994 zur Welt kam, war Präsident Nadschibullah gestürzt, aber er lebte noch, untergebracht in einem Gästehaus der UN in Kabul. Als sein Nachfolger galt Professor Rabbani, doch Rabbani war Tadschike und deshalb für die Paschtunen inakzeptabel. Außerhalb von Kabul regierten nur die Warlords in ihren Territorien, die eigentlichen Herrscher hießen jedoch Chaos und Anarchie.
    Aber noch etwas anderes war im Gange. Nach dem Krieg gegen die Sowjets waren Tausende junger Afghanen in die pakistanischen madrasas zurückgekehrt, um ihre Ausbildung zu beenden. Andere, die zu jung zum Kämpfen gewesen waren, gingen über die Grenze, um eine Ausbildung zu erhalten – irgendeine Ausbildung. Was sie bekamen, war eine jahrelange wahhabitische Gehirnwäsche. Jetzt kehrten sie zurück, doch sie waren anders als Izmat Khan.
    Weil der alte Yunis Khalis, so ultrafromm er gewesen war, noch einen Rest von Mäßigung in sich gehabt hatte, war in seinen madrasas in den Flüchtlingslagern ein leicht gemäßigter Islam gelehrt worden. Andere konzentrierten sich auf die ultraaggressiven Passagen aus den Versen des Schwerts im Heiligen Koran. Und der alte Nuri Khan, obgleich ebenfalls fromm, war menschlich und sah nichts Schlimmes in Gesang, Tanz, Sport und Toleranz gegenüber anderen.
    Die jetzt Heimkehrenden waren schlecht ausgebildet. Imame, die selbst kaum lesen und schreiben konnten, waren ihre Lehrer

Weitere Kostenlose Bücher