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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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gewesen. Sie wussten nichts über das Leben, die Frauen (viele dieser Heimkehrer lebten und starben im Zustand der Jungfräulichkeit) oder wenigstens ihre eigene Stammeskultur, die Izmat durch seinen Vater kennen gelernt hatte. Abgesehen vom Koran kannten sie nur eins: den Krieg. Die meisten stammten aus dem tiefen Süden Afghanistans, wo schon immer die strengste Variante des Islam praktiziert worden war.
    Im Sommer 1994 verließ Izmat Khan zusammen mit einem Cousin das Hochlandtal und reiste nach Jalalabad. Es war ein kurzer Besuch, aber doch lang genug, um das von Hekmatjars Anhängern angerichtete grauenhafte Massaker in einem Dorf zu sehen, das sich schließlich geweigert hatte, ihm weiter Tribut zu zahlen. Die Männer, die die beiden Reisenden vorfanden, waren gefoltert und getötet worden, die Frauen verprügelt, das Dorf in Brand gesetzt. Izmat Khan sah es mit Abscheu. In Jalalabad erfuhr er, dass das, was er gesehen hatte, nichts Ungewöhnliches war.
    Dann geschah etwas tief im Süden. Nach dem Verschwinden jeder Art von Zentralregierung hatte sich die staatliche Armee einfach demjenigen örtlichen Warlord unterstellt, der sie am besten bezahlte. Außerhalb von Kandahar schleppten ein paar Soldaten zwei halbwüchsige Mädchen in ihr Camp und vergewaltigten sie.
    Der Prediger des Dorfes, das sie überfallen hatten, führte ebenfalls eine religiöse Schule und zog mit dreißig seiner Schüler und sechzehn Gewehren in das Armeecamp. Wider alles Erwarten besiegten sie die Soldaten und hängten den Kommandanten am Geschützrohr eines Panzers auf. Der Name des Predigers war Mohammed Omar oder Mullah Omar. Er hatte in diesem Kampf sein rechtes Auge verloren.
    Die Geschichte sprach sich herum. Andere wandten sich Hilfe suchend an ihn. Seine Anhängerschaft wuchs, und er folgte den Hilferufen. Sie nahmen kein Geld, sie vergewaltigten keine Frauen, sie stahlen keine Ernte, sie forderten keine Belohnung. Bald galten sie in der ganzen Gegend als Helden. Im Dezember 1994 war ihre Zahl auf zwölftausend gewachsen, und sie alle trugen den schwarzen Turban dieses Mullahs. Sie nannten sich »Schüler«. Das Paschto-Wort für Schüler ist talib, der Plural ist »Taliban«. Aus einer dörflichen Vigilantentruppe war eine Bewegung geworden, und als sie die Stadt Kandahar eroberten, bildeten sie eine Alternativregierung.
    Pakistan hatte mit Hilfe der Ränke seines ISI versucht, den Tadschiken Rabbani in Kabul zu stürzen, indem es Hekmatjar unterstützte, aber dieser scheiterte immer wieder. Ultraorthodoxe Muslime unterwanderten den ISI, und bald schwenkte Pakistan um und unterstützte fortan die Taliban. In Kandahar hatte die neue Bewegung ein riesiges Waffenlager an sich gebracht, außerdem Panzer, Panzerwagen, Lastwagen, Kanonen, sechs von den Sowjets zurückgelassene MiG21-Kampfflugzeuge und sechs schwere Hubschrauber. Sie begannen sich nach Norden auszubreiten. 1995 umarmte Izmat Khan seine Frau, küsste sein Kind und stieg von den Bergen hinab, um sich ihnen anzuschließen.
    Später, auf dem Boden einer Zelle in Kuba, sollte er sich daran erinnern, dass die Tage mit Frau und Kind in dem Hochlanddorf die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen war. Er war dreiundzwanzig.
    Zu spät erfuhr er, dass die Taliban eine dunkle Seite hatten. Die Paschtunen in Kandahar waren schon immer fromm gewesen, aber jetzt herrschte hier das härteste Regiment, das die Welt des Islam je gesehen hatte.
    Alle Mädchenschulen wurden unverzüglich geschlossen. Frauen durften das Haus nur noch in Begleitung eines männlichen Verwandten verlassen. Die Burka, das alles verhüllende Gewand, war das einzige erlaubte Kleidungsstück, und das Klappern weiblicher Sandalen auf den Fliesen wurde verboten, weil es zu aufreizend klang. Gesang, Tanz, Musik, Sport und das Drachenfliegen, ein nationaler Zeitvertreib, wurden verboten. Fünfmal am Tag musste gebetet werden. Für Männer herrschte Bartpflicht. Die Vollstrecker mit ihren schwarzen Turbanen waren oft halbwüchsige Fanatiker, die nichts anderes kannten als die Verse des Schwertes, Grausamkeit und Krieg. Aus Befreiern wurden neue Tyrannen, aber ihr Vormarsch war unaufhaltsam. Ihre Mission war es, die Herrschaft der Warlords zu brechen, und da diese bei der Bevölkerung verhasst waren, fügte man sich der neuen Strenge. Zumindest herrschten jetzt Recht und Ordnung, es gab keine Korruption, keine Vergewaltigungen, keine Kriminalität mehr. Es gab nur noch fanatische Rechtgläubigkeit.
    Mullah Omar war

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