Der afrikanische Spiegel
sie mit den abgestreiften Handschuhen, als wären sie Hände. Hände eines geliebten und fernen Menschen.
„Laura, Ines, Anita.“
„Nein, so hieß ich nicht.“
„Matilde, Jacint a …“
„So auch nicht.“
Wie viele Jahre waren seither vergangen? Sehr viele jedenfalls. Sie musste nachdenken. Einige Jahre nach der Abreise von Atima Imaoma hatten ihre Eltern einen passenden Ehemann für sie gefunden. Ihr Vater hatte damals zu ihr gesagt, sie würde nie auf Sklaven oder Klaviere verzichten müssen. Und damit hatte er Recht behalten.
Aber wie viele Jahre war es nun her? Es musste 1791 gewesen sein, als finanzielle Schwierigkeiten ihre Familie gezwungen hatten, einen Teil ihrer Besitztümer zu verkaufen. Damals war sie zwölf. Mit neunzehn hatte sie geheiratet. Bei ihrer Hochzeit lag der Tag, an dem Atima Imaoma auf ein Landgut in Mendoza gebracht worden war, also sieben Jahre zurück.
„Luisa.“
„Nein.“
„Esperanza.“
„Auch nicht.“
Und dieser seltsame Name, den sie sich ausgesucht hatte! Stimmte es wirklich, dass der Spiegel ihn ihr gesagt hatte? Wie viele Jahr e …? Sieben.
Und dann hatte sie ihre beiden Söhne bekommen, die so schnell gewachsen waren wie Pappeln.
„Juana, Jesus a …“
„Nein, auch nicht.“
Die Frau wusste noch sehr gut, dass sie zur Zeit der Revolution mehr denn je ihrer glücklichen Kindheit nachgetrauert hatte. Vielleicht deshalb, weil sich um sie herum alles gewandelt hatte. Und die Klaviere und die Sklaven, die sie nach wie vor besaß, erinnerten sie ständig an ihre Traurigkeit.
Eines Winternachmittags wurde sie Witwe, was nicht allzu viel veränderte.
In ihrer Erinnerung gab es nur zwei Zeiten, in denen sie ihren Herzschlag und den der anderen hören konnte: ihre Kindheit und die Revolution.
Wie lange war das her? Die Kinder, der Tod ihres Manne s …
Doch es musste noch etwas anderes geschehen, bevor sie beschloss, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Eines Nachts erwachte sie mit Atemnot. Mühsam erhob sie sich vom Bett und öffnete die Fenster. Aber die frische Luft von draußen half nicht viel.
Nun war für sie die Zeit gekommen, eigene Entscheidungen zu treffen und sich nicht länger nach ihren Eltern, ihrem Mann oder ihren Söhnen zu richten. Oder nach dem Arzt, der ihr davon abriet, in ihrem Gesundheitszustand eine so lange Reise zu machen.
Raquel Fontezo y Cabrera wollte glücklich sein, so glücklich wie in ihrer Kindheit und im Jahr 1810.
Ein Geigensolo holte sie in die Gegenwart zurück.
Das Konzert hatte begonnen, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Raquel staunte, wie virtuos der junge Geiger war. Er wirkte scheu wie ein verschrecktes Kaninchen. Doch wenn er spielte, nahm sein Gesicht diese unvergleichliche Schönheit an, die Menschen ausstrahlen, wenn sie etwas voller Leidenschaft und Hingabe tun.
Als junges Mädchen hätte Raquel sich in einen Mann wie diesen verliebt, auch wenn er ihr keine Klaviere und Sklaven hätte bieten können. Wie viel Zeit war seither vergangen?
„Josefina, Graci a …“
„Nein, so hieß ich nicht.“
„Beatri z …“
„So auch nicht.“
Als das Konzert zu Ende war, applaudierte das Publikum ungewöhnlich laut und lange. Doch die Erste, die aufstand und begeistert klatschte, war eine Frau um die fünfzig in einem eleganten Kleid.
Das meiste Lob erhielt der junge Geiger.
„Dabei ist er noch so jung! Ein echtes Talent!“, sagten die Leute, während sie den Saal verließen.
Dorel war in seiner Garderobe und zog sich um. Obwohl sich seine Lebensumstände deutlich verbessert hatten, war er immer noch ein schüchterner junger Mann voller Ängste. Er erschrak, als es zweimal an die Tür klopfte.
Bevor er antworten konnte, ging sie auf, und die frühere Anisbrötchenverkäuferin, die jetzt seine beste Freundin und Assistentin war, streckte den Kopf herein.
„Jemand möchte dich sprechen, Dorel“, sagte sie. Dann fügte sie hinzu: „Und mach nicht so ein ängstliches Gesicht! Es handelt sich um eine Dame mittleren Alters. Ich glaube, dein Geigenspiel hat sie tief bewegt. Sie möchte dir gratulieren. Kann ich sie hereinlassen?“
Dorel lächelte hoffnungsvoll. Denn welche Dame sollte ihn sprechen wollen, wenn nicht Maria Petra? Sicher hatte sie von einem Kunden oder aus der Zeitung von dem Konzert erfahren. Oder von ihrer Tante, als sie ihr den monatlichen Besuch abstattete.
Dorel kämmte sich die Haare und bereitete sich innerlich darauf vor, Maria Petra in die Arme zu schließen.
„Gestatten
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