Der Agent - The Invisible
ganz oben auf der Liste mit Madrids Touristenattraktionen, war aber trotzdem ziemlich beeindruckend. Hinter einer Rasenfläche und einem kleinen Teich stand eine imposante Statue von Miguel de Cervantes, dem berühmten spanischen Schriftsteller. Nach dem Beginn der Fertigung im Jahre 1925 hatte ihre Erschaffung gut siebenundzwanzig Jahre in Anspruch genommen, und das Resultat verdankte sich der Geduld und dem Können mehrerer Künstler. Cervantes wurde in einer Sitzposition dargestellt und blickte heiter auf die seiner Imagination entsprungenen Gestalten hinab, auf Don Quijote, Sancho Pansa und Dulcinea, die wunderschöne Bäuerin aus Quijotes Träumen. Die kleineren Figuren waren Statuetten aus Bronze, abgesehen von der Dulcineas, die aus Stein bestand. Sie schienen nicht zu bemerken, mit welcher wohlwollenden Aufmerksamkeit ihr Schöpfer auf sie hinabblickte.
Er nahm die Gebäude nördlich des Platzes in Augenschein. Zwischen dem Torre de Madrid und dem Edificio España - zwei der höchsten Gebäude der Stadt - sah er eine Reihe weniger
imposanter Häuser. Die meisten standen, wie nicht anders zu erwarten, dicht beieinander, aber es gab eine auffällige Baulücke. Früher hatte hier ein vierstöckiges Lagerhaus aus rotem Backstein gestanden, das vor zwei Monaten durch eine kontrollierte Sprengung zum Einsturz gebracht worden war, um einem weiteren Wolkenkratzer Platz zu machen. Selbst von der anderen Seite des Platzes aus konnte er den das Grundstück umgebenden Maschendrahtzaun erkennen.
Am nördlichen Ende der Baustelle standen ein paar Wohncontainer, die durch ein Gewirr von Stahlträgern und Stützpfeilern, die aus einem Betonfundament ragten, kaum zu sehen waren. Innerhalb des Zaunes stand eine Reihe von Kränen. Es gab offenbar nur zwei Tore, groß genug, um Lastwagen hindurchzulassen, aber im Moment schien auf der Baustelle nicht viel los zu sein. Er sah mehrere Arbeiter, doch sie machten gerade Pause, saßen herum, mit Papier- oder Plastiktüten in der Hand. Immer noch Siesta, dachte Kealey. Er fragte sich, welche der fernen Gestalten der Mann war, mit dem er reden wollte.
Während er die Szenerie betrachtete, bemerkte er auf einmal aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Er legte die linke Hand auf das Balkongeländer und drehte sich um. Zugleich steckte er einen Fuß durch die Gurtschlaufe der zu seinen Füßen liegenden Tasche, auf der das Vereinswappen von Real Madrid prangte. Darin befand sich das für Kamil Ghafour bestimmte Geld. Von Keflavík aus hatte er mit Naomis Satellitentelefon Harper angerufen, und der hatte dafür gesorgt, dass das Geld bereitlag. Einer der Beschatter hatte es am Vortag aus einem Schließfach am Bahnhof Arocha abgeholt.
»Sorry.« Die Frau, die so plötzlich hinter ihm aufgetaucht war, konnte sich vor Lachen kaum halten. »Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen.«
»Kein Problem«, sagte Kealey. Er hatte die Geschichte schon abgehakt, aber die Frau lachte immer noch. Er starrte sie für einen langen Moment an, mittlerweile verärgert, und schließlich ließ der Lachkrampf nach. »So lustig war es nun auch wieder nicht. Außerdem mag ich keine Leute, die sich von hinten anschleichen.«
»Ich hatte meinen Spaß«, sagte Marissa Pétain, die sich vergeblich bemühte, den nächsten Lachanfall zu verhindern. Sie blickte auf seine auf dem Geländer liegende Hand, dann auf die Tasche zu seinen Füßen. »Mein Gott, Sie sind doch angeblich eine Art Meisterspion, und dann hören Sie mich nicht mal kommen. Ich hätte Sie über das Geländer schubsen können.«
Kealey studierte ihr Äußeres und versuchte zugleich, ihren ausgeprägten Akzent zu identifizieren. Laut Harper arbeitete Pétain seit vier Jahren für die CIA. Bevor er am Vortag die Leitung der Operation übernommen hatte, war sie die Chefin des Teams gewesen, das Kamil Ghafour in Madrid observierte. Sie hatte nichts gesagt, das ihn stutzig gemacht hätte, aber er konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie sauer war, weil er jetzt das Kommando hatte. Offenbar war sie schon einige Zeit in Madrid. Eigentlich wusste er fast nichts über sie, doch auf das, was er bisher mitbekommen hatte, konnte er gut verzichten. Sie war überheblich und laut und hatte kein Gefühl dafür, wann sie besser den Mund gehalten hätte. Er glaubte nicht, dass hinter all dem Absicht steckte, doch dadurch war sie kein bisschen leichter zu ertragen.
Zugleich hatte sie etwas, das Interesse erregen konnte. Zumindest ihr Name. Der war eindeutig
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