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Der Agent - The Invisible

Der Agent - The Invisible

Titel: Der Agent - The Invisible Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Britton
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er sich unwillkürlich fragen, wie dieses Land es geschafft hatte, zu einer Atommacht zu werden.

    Während der letzten beiden Wochen hatte er ernsthaft darüber nachgedacht, seine Arbeit in dem Krankenhaus vorzeitig zu beenden. Seit der Bekanntgabe des israelischen Waffenverkaufs an Indien war die aufgeheizte Stimmung auf den Straßen, insbesondere im Zentrum von Islamabad, mit Händen zu greifen, und die Entführung von Außenministerin Fitzgerald war der vorläufige Höhepunkt einer beunruhigenden Entwicklung. Letztlich entschied er sich aber dagegen, den Job zu quittieren. Es wäre nicht der erste Konflikt zwischen Indien und Pakistan, und wirklich eskaliert waren die Auseinandersetzungen nie. Selbst der sogenannte Kargil-Krieg im Jahr 1999 konnte schwerlich als etwas anderes als ein Scharmützel bezeichnet werden. Wegen solcher Episoden musste man das Land nicht fluchtartig verlassen, besonders nicht, da seine Abreise ohnehin vor der Tür stand. Mittlerweile lag sein Abschied von der University of Washington zehn Monate zurück, und sein Aufenthalt in Pakistan war von vornherein für ein Jahr geplant gewesen. Er konnte es kaum abwarten, nach Hause zurückzukehren, und fieberte dem 1. September entgegen.
    Jetzt, um kurz nach acht abends, war er im Begriff, den Umkleideraum im Erdgeschoss des Krankenhauses zu verlassen, doch vorher warf er noch einen Blick in den Spiegel. Eine ehemalige Freundin hatte sein Gesicht einmal als »liebenswürdig« charakterisiert, ohne dass er wusste, was genau sie damit meinte. Schon seit Ewigkeiten trug er einen dichten Kinnbart, der den unteren Teil seines Gesichts völlig verdeckte.
    Alles in allem war er ganz zufrieden mit sich. Trotz gründlicher Suche hatte er bisher in seinem hellbraunen Haar noch keine graue Strähne gefunden. Mit seinen achtunddreißig Jahren hatte er mehr Muskeln zu bieten als Fett auf den Rippen - trotz der schlechten Ernährung, die aus zwei oder drei
täglichen Mahlzeiten bei McDonald’s bestand. Seinen Patienten gegenüber erwähnte er das nie, selbst wenn nur wenige von ihnen - inklusive derjenigen, die fließend Englisch sprachen - seinen ausgeprägten Südsprachendialekt verstanden, eine Erinnerung an seine Jugend, die er in der bewaldeten Hügellandschaft von Etowah in Tennessee verbracht hatte. Die Fast-Food-Kette hatte kürzlich ein paar Schnellrestaurants in Lahore eröffnet, und selbst wenn er von seiner Wohnung aus ein gutes Stück mit dem Auto fahren musste, war es den Aufwand wert. Die einheimische Küche - typischerweise zu lange gekochter Reis mit undefinierbarem Fleisch von zäher Konsistenz - konnte er einfach nicht ertragen. Da war selbst das Angebot eines pakistanischen McDonald’s vorzuziehen.
    Er marschierte schnell durch die Eingangshalle und nickte auf dem Weg zur Tür einigen Kollegen zu. Bald war er auf dem Parkplatz, und als er sich seinem Auto näherte, erschreckte ihn das Geräusch quietschender Reifen zu seiner Rechten. Er blieb stehen und trat instinktiv einen Schritt zurück, als ein schwarzer Lieferwagen nur ein paar Meter entfernt eine Vollbremsung hinlegte. Die Tür auf der Fahrerseite flog auf, und ein junger Mann sprang heraus. Sein Haar war unordentlich, und er fuchtelte mit den Armen. Er wirkte extrem aufgeregt und blickte sofort Craig an.
    »Doktor! Sind Sie Arzt? Ich brauche Hilfe!« Der Mann stammelte zur Hälfte unverständlich auf Englisch, die restlichen Wörter entstammten einer Sprache, die Craig als Urdu identifizierte. Während der ersten beiden Monate in Pakistan hatte er einen ernsthaften Versuch unternommen, die verschiedenen Sprachen zu erlernen, doch es gab einfach zu viele davon. Urdu, Punjabi, Paschto, Balti … Die Liste war endlos, und seine Patienten schienen nie alle gemeinsam eine dieser
Sprachen zu beherrschen. Trotz seines Ehrgeizes, jede Aufgabe zu bewältigen, erkannte er durchaus, wann ein Unterfangen aussichtslos war. Im Januar hatte er aufgegeben. Deshalb hatte er jetzt auch keine Ahnung, was der junge Mann wollte. Abgesehen davon, dass er einen Arzt suchte.
    »Ja, ich bin Arzt«, sagte er schnell, ein paar Schritte vortretend. Angestrengt nachdenkend, fiel ihm schließlich einer der Sätze ein, die er sich damals eingeprägt hatte, und er fragte auf Urdu, ob der Mann Englisch spreche.
    Der andere wirkte völlig konsterniert, aber nur für einen Moment. »Ja«, schrie er triumphierend. »Ich spreche Englisch!« Fast schien es, als wäre es ihm gerade erst bewusst geworden. »Es geht um

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