Der Agent - The Invisible
geglaubt, es sei Selbstverteidigung gewesen. Aber eines der Opfer war völlig unschuldig. Es war einer der Vorfälle, die für ihren jetzigen psychischen Zustand verantwortlich waren, doch er wusste nur zu gut, wie sehr sie insbesondere dieses Ereignis verändert hatte. Es wurde ihm jedes Mal aufs Neue klar, wenn er ihr in die Augen blickte. Und jetzt hatte sie etwas noch sehr viel Schlimmeres getan. Er versuchte, nicht daran zu denken, doch angesichts ihres schon zuvor labilen Zustands musste man damit rechnen, dass das Ereignis von Madrid einen kompletten Zusammenbruch herbeiführen konnte. Der Gedanke war kaum zu ertragen, da sie nur versuchte hatte, ihnen die Flucht zu ermöglichen, aber er konnte ihn einfach nicht verdrängen.
Machado sagte etwas, und er wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Pardon?«
»Ich habe gefragt, ob Sie einen Drink möchten«, wiederholte der Spanier geduldig und mit einem undurchdringlichen Blick. »Sie sehen so aus, als könnten Sie einen gebrauchen.«
Kealey nickte. »Ja, kann man so sagen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich erst dusche?« Nach ihrer Ankunft in Cartagena hatte er sich sofort hingelegt. Wahrscheinlich sah er genauso übel aus, wie er roch.
»Überhaupt nicht. Kommen Sie nach unten, wenn Sie fertig sind.«
»Wird gemacht.«
Machado verließ das Zimmer, und er folgte ihm, nachdem er ein paar Dinge aus seiner Tasche zusammengesucht hatte. Unterwegs hatte er neue Kleidungsstücke und Toiletteartikel gekauft. Pétain erledigte dasselbe nicht nur für sich, sondern auch für Naomi. Einer der Agenten, der in dem Hotel in Madrid die Sachen zusammenpacken sollte, hatte noch ihre Taschen mitsamt den gefälschten Papieren. Am nächsten Morgen sollte er sie hier abliefern.
Auf dem Weg zum Bad blieb er vor Naomis Zimmer stehen, klopfte aber nicht. Er wollte sie nicht bedrängen, war Machados Meinung. Es war besser, sie das Thema selbst anschneiden zu lassen, wenn sie so weit war. Natürlich gab es noch andere Dinge zu bedenken, etwa ihre erweiterten Pupillen, die ihm im Sofitel Madrid aufgefallen waren, bevor sie Ghafour aufgesucht hatten. Er wusste immer noch nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte, aber offenbar kam er nicht darum herum, eine harte Entscheidung zu treffen, wenn die Operation in die nächste Phase ging. Erfreulich war das nicht, doch er glaubte, dass ihm keine andere Wahl blieb.
Nach der heißen Dusche trocknete er sich ab und kehrte in sein Zimmer zurück, wo er ein T-Shirt und eine dunkle Jeans anzog. Als er nach unten ging, fühlte er sich schon deutlich besser. Javier Machado saß allein im Wohnzimmer, durch die offene Tür zum Garten kam kühle Nachtluft herein. Ein auf CNN eingestellter Fernseher lief, der Ton war abgeschaltet. Die Explosion neben der Baustelle in Madrid war offenbar die Topstory, aber er musste die schrecklichen Bilder nicht noch einmal im Fernsehen betrachten. Er wandte den Blick ab, trat
an die offene Tür und blickte nach draußen. Die beiden Frauen saßen noch immer an dem Gartentisch und unterhielten sich, aber sie waren so weit weg, dass er nichts verstand.
Machado zeigte auf einen Erker, wo Karaffen und Flaschen standen. »Bedienen Sie sich, mein Freund. Cognac, Sangria und Anisette stehen auf dem oberen Regalbrett. Darunter finden Sie Sherry aus Jerez, pacharán aus Navarra … Die besten Tropfen, die Spanien zu bieten hat.«
»Sie haben nicht zufällig ein Bier?«
Machado lächelte matt. »Amerikaner sind alle gleich, haben keinen Sinn für die erlesenen Dinge … Aber steht es mir zu, darüber zu urteilen? Die Küche ist da drüben, im Kühlschrank finden Sie Bier.«
Kurz darauf kehrte Kealey mit einer eiskalten Flasche San Miguel zurück, einem beliebten spanischen Bier. Nachdem er Machado gegenüber Platz genommen hatte, trank er genüsslich einen großen Schluck.
»Nach einem langen Tag geht nichts über einen kühlen Drink«, bemerkte Machado. »Das wirkt Wunder.«
»Sie sagen es«, stimmte Kealey zu. Nach einem weiteren Schluck blickte er sich interessiert um. Das Wohnzimmer war geschmackvoll eingerichtet und gemütlich. Wie die anderen Räume im Haus hatte es nichts Steriles, was ihm sehr gefiel. Es erinnerte ihn an sein altes Haus auf Cape Elizabeth in Maine. Die Möbel waren rustikal, eine Stehlampe in der Ecke verbreitete warmes Licht. Sein Blick fiel auf einige zeitgenössische Gemälde, über dem Kamin hing ein großes Landschaftsbild. Interessanter fand er allerdings die gerahmten Fotografien, die
Weitere Kostenlose Bücher