der Agentenschreck
beides kurieren«, sagte sie entschieden.
Er schüttelte den Kopf, als wollte er seine Gedanken klären.
»Ich hole mir welche. Haben Sie eine Ahnung, was das heißt?«
Er zog einen Zettel aus seiner Tasche und gab ihn ihr. »Ich weiß nicht mal, welche Sprache das ist.«
Mrs. Pollifax betrachtete den zerknitterten, schmalen Zettel, auf dem mehrere Sätze und eine Nummer standen. »Das ist doch kyrillisch?« Fragend runzelte sie die Stirn. »Sieht aus wie eine Eintrittskarte ins Bad oder ein Lotteriezettel. Woher haben Sie das?«
»Geklaut. Aus einer fremden Anzugstasche.« Phil lachte.
Die Lautsprecheranlage verkündete in vier verschiedenen Sprachen den Abflug der TABSO—
Maschine nach Sofia. Die Worte dröhnten und machten jedes weitere Gespräch
unmöglich. Mrs. Pollifax streckte dem jungen Mann die Hand entgegen. »Emily Pollifax«,
überschrie sie den Krach. »Hat mich sehr gefreut. Und suchen Sie unbedingt einen Arzt
auf.«
Auch er stand auf, errötete leicht und gab ihr die Hand, als sei ihm erst jetzt wieder seine gute Erziehung eingefallen. »Philip Trenda«, brüllte er. Dann überfiel ihn wieder der
Schmerz, und er krümmte sich zusammen.
Die junge Amerikanerin mit dem langen Haar — Debby war sie genannt worden — stand
plötzlich neben ihm. »Aber das ist ja schrecklich, Phil. Du bist ernstlich krank.«
»Ich begleite dich zur Maschine.«
»Unsinn. Du solltest sitzen oder liegen, aber auf keinen Fall gehen.«
»Ich bin nicht krank. Und ich begleite dich«, sagte er störrisch.
»Ihr Zettel«, rief Mrs. Pollifax.
Er winkte ab, schulterte seinen Rucksack und ging mit dem Mädchen. Mrs. Pollifax schob
das Papier in ihre Tasche, griff nach ihrer Flugtasche und folgte der Gruppe junger Leute zum Schalter. Sie hatten wieder zu streiten begonnen.
Kopfschüttelnd gab Mrs. Pollifax ihren Flugschein ab und bestieg die Maschine. Kurz darauf kamen die jungen Leute nach. Philip befand sich unter ihnen.
Schon nach kurzem Flug verlangsamte die Maschine ihre Fluggeschwindigkeit, obwohl es
für die Landung in Sofia noch zu früh war. Bulgarisch, französisch, deutsch und zuletzt englisch ertönte es aus dem Lautsprecher: Sie machten eine außerplanmäßige
Zwischenlandung in Rumänien. Der Aufenthalt würde kurz sein. Niemand dürfe die
Maschine verlassen.
Dann setzten sie auf. Einige Plätze hinter Mrs. Pollifax brummte ein Engländer zu seinem Begleiter: »In diesen Ländern hält man nichts von Erklärungen. Oder gar von
Entschuldigungen.«
»Was wollen Sie, ein Polizeistaat. Ich bin immer darauf gefaßt, daß jemand im Flugzeug
verhaftet oder unser Gepäck durchsucht wird. Sehen Sie doch, wir scheinen wegen eines
Passagieres gelandet zu sein.«
»Ein hohes Tier, höchstwahrscheinlich.«
»Sieht ganz so aus.«
»Ist das nicht General Ignatov? Sie waren doch im Vorjahr in Sofia. Ich konnte sein Gesicht schon nicht mehr sehen.
Wochenlang erschien es tagtäglich in der Parteizeitung.«
General Ignatov? Mrs. Pollifax sah aus ihrem Fenster.
Mehrere Personen marschierten über die Piste zur Maschine.
Der Zug schien aus einer komischen Oper zu stammen. Voran ging ein großer, dunkler,
gutaussehender Mann in einer von Orden übersäten Uniform. Er schritt kräftig aus und
zerschnitt die Luft mit einem Spazierstock. Ihm folgten zwei Offiziere, die laufen mußten, um mit ihm Schritt zu halten. Den Schluß bildete ein Schwanz von Zivilbeamten.
Der General blieb unter Mrs. Pollifax' Fenster stehen. Die anderen umringten ihn, und es gab ein allgemeines Händeschütteln. Dann trat die Begleitung zurück. Jetzt sah Mrs. Pollifax den General genau. Er lachte. Seine Zähne blitzten in dem dunklen Gesicht, sein Kopf war zurückgeworfen. Trotzdem glaubte sie ihm seine Heiterkeit nicht. Sie hatte den Eindruck, er habe sich dazu erzogen zu lachen, weil er sonst nur aus Überheblichkeit, Grausamkeit,
Sprungbereitschaft und Energie bestehen würde.
Im nächsten Augenblick stieg er ins Flugzeug. Wieder sah sie ihn flüchtig, als er im
Durchgang zwischen der Touristenklasse und der ersten Klasse stehenblieb. Mit harter
Stimme erteilte er der Stewardeß Befehle. Sein Charme war wie fortgewischt.
Geblieben war nackte Brutalität.
Mrs. Pollifax lief es kalt über den Rücken. Das war kein Operettengeneral. Schlagartig wurde ihr klar, daß sie im Begriff stand, ein Land hinter dem Eisernen Vorhang zu besuchen, um dort Verbindung mit einer Gruppe aufzunehmen, die sich gegen jene Gewalt auflehnte,
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