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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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einem Mal zumute gewesen. Als schaute er in einen Spiegel, so hatte er den Toten hinter den Nebelschleiern angesehen; in einen Spiegel, ja, aber der zeigt nicht mich selbst, sondern einen wie mich, aus Dampf und Dreck geboren.
    Er lag in Markétas Bett und sah doch ihn die ganze Zeit vor sich: Nico, wie sie ihn genannt hatte. Er spürte die feuchte Hitze, die von der Quelle, von dem kochenden Körper aufstieg, und fror doch immer noch am ganzen Leib. Immer frier ich, frier ich, dachte Flor, seit damals, als ich in der schwarzen Halle aufwach und das Fiepen im Finstern hör und den Drachen der Nacht.
    Vor der Schlafkammertür machte sich jemand rumpelnd zu schaffen, Flor hielt den Atem an und lauschte angespannt nach draußen.
    »Schscht, ich bin’s nur – Lisetta«, hörte er und verkroch sich noch tiefer unter Markétas Pfuhl. Markéta und Lisetta, dachte er, bei den beiden Frauen war er in Sicherheit. Wie früher bei der Steinerin, nein, anders, wärmer. Er probierte die Wörter aus – es gibt so viele Wörter und nie will eins wirklich passen: Meist sitzen sie schief auf den Dingen, wie die schmierige schwarze Mütze auf Hezilows Kopf.
    Hezilow! Wenn er den Namen nur dachte, fuhr er zusammen. Du hast mich gefangen gehalten, dachte er; damals, du Lumpenteufel, Jurij Hezilow. In deiner Halle war ich gefangen, nackt in schwarzer Nacht. Aber warum nur, warum? Und weshalb kamen der Puppenmacher und seine schwarzen Gesellen, die Halle und der grauenvolle Drache – warum kam all das in allen Geschichten der Steinerin niemals vor?
    Weil sie gelogen hat, mich immer nur angelogen hat, dachte Flor, indem er sich frierend in Markétas Himmelbett hin und her warf. Weil Herr Veit nicht mein Vater und Frau Hilda nicht meine Mutter ist. Weil ich keine, gar keine Eltern hab! Weil ich von keiner Mutter geboren bin, sondern aus Dampf und Dreck und Nacht gekrochen wie er aus jener Nebelpfütze!
    Und hat es kaum gedacht, da ist er wieder dort, in der schwarzen Halle, ein Knäblein von drei Jahren vielleicht, mit einem Lumpenhemdchen angetan. So tappt er barfüßig auf dem kalten Steinboden umher, und wie er friert, wie fürchterlich ihn friert! Das Lederband um seinen Hals, daran die Kette, die kalt vor seinem Rücken herabhängt, klirrend hinter ihm am Boden schleift. So weiß Hezilow immer, wo er sich gerade herumtreibt, denn wie sachte er sich auch bewegt, wie er die Kette mit seinen Händen zu dämpfen versucht, ganz kann er das Klirren nie ersticken.
    Über ihm im Finstern gleitet der Drache umher. Wenn du ihn siehst, seine glühenden Augen, wenn du ihn hörst, das Rauschen seiner Flügel, ist es schon zu spät.
    Unablässig lauscht er nach droben, immer auf den furchtbaren Angriff gefasst. Hundertmal am Tag wirft er sich zu Boden – aber es gibt keine Tage, nur Nächte, nur eine einzige, nie endende Nacht. Hundertmal kriecht er unter einen Tisch, zwängt sich hinter einen Schrank, weil er in seinem Innern ein Ziehen und Reißen gespürt hat, die schreckliche Gewissheit: Da kommt er, aus schwärzester Höhe, und stößt mit feurigem Rachen auf ihn herab.
    Und dann lacht der Lumpenteufel, lacht heulend und pfeifend:
    »Hat der kläjne Rolfie wieder’s Rauschen geheert?« Fackellicht, das immer nur einen winzigen Umkreis erhellt, ringsum und darüber die trügerischen Tücher der Nacht. Die Angst macht ihn rastlos, zwingt ihn, in der riesigen Halle umherzutappen, von einem Ende zum andern, durch die Nebengewölbe, immer die Wände entlang, immer krampfhaft nach droben lauschend.
    Der Lumpenteufel und seine Gesellen, die sich an großen Tischen, glühenden Öfen zu schaffen machen. Den Blasebalg treten, Pulver in Tiegel geben, leuchtende Tinkturen dazuschütten, und dann steigen bunte Schwaden auf: Fratzen aus Qualm, Pratzen aus Nebel, die nach dem Knäblein im Lumpenhemdchen greifen.
    Wieder rennt er weg, klirrend und stolpernd. Und dabei immer frierend, selbst wenn er neben einem der glühenden Öfen steht. Die Hitze versengt ihm Haut und Haare, aber unter der Glut bleibt es felsenkalt. Er geht um eine Säule in der schwarzen Halle herum, und auf einmal ist er in einem Nebengewölbe, in dem er niemals vorher war.
    Riesenhafte Glasballons, von heißer Nässe beschlagen, sodass er nicht sehen kann, was drin sein mag. Ein Gewirr von Röhren, das die Ballons verbindet, und in der Luft ein Schmorgeruch, der in der Kehle würgt, ein Gurgeln und Blubbern wie von zäh kochendem Brei. Und weiter hinten, ganz leise und doch deutlich

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