Der Alchimist von Krumau
Messer schon wieder in die Hand genommen, ohne es zu bemerken. Nun ließ er’s fallen, nahm die Kerze dafür und rannte, stolperte, taumelte zur Tür, wieder durch den Wundersaal, vorbei an den glotzenden Monstren, grinsenden Bestien, winselnden Püppchen und polternd ins Schlafgemach.
Trat neben sein Himmelbett, hielt die Kerze hoch, und da lag sie: die rossbraune Mähne um ihren Kopf gebreitet wie dunkle Strahlen, ihre Miene störrisch selbst im Schlaf.
Jetzt begannen ihre Lider zu flattern, sie öffnete die Augen und machte sie gleich wieder zu, von der Kerze geblendet. »Was tust du, Julius?«
So arglos, dachte er, so vertrauensvoll, und die Kehle zog sich ihm zusammen.
Er stellte die Kerze auf den Nachtkasten neben dem gräflichen Himmelbett und pustete sie aus, so behutsam, als ob’s ein Lebensflämmlein wär. »Psst, gar nichts, war nur ein Traum.«
Dann lag er wach und zählte die Glockenschläge, während Markéta längst wieder neben ihm schlief.
55
»Was hast du, Julius? Was schaust du mich so an?«
So hatte sie ihn noch nie erlebt, in all den Wochen ihrer Liebe nicht. Den wilden, übermütigen, leidenschaftlichen Geliebten hatte sie kennen gelernt, auch den wütenden, trotzigen, vor Zorn sich verdüsternden Julius, selbst von seiner ganz und gar schwarzen Nachtseite hatte sie hie und da ein erschreckendes Schwanzstück gesehen: Julius, den jählings die Jagdgier, die Lust am Töten, an Angst und Pein eines Opfers überkam.
Aber diese samtene Seite hatte er ihr bisher noch nie gezeigt: Julius, der sie voller Zärtlichkeit ansah, neben ihr liegend, den Ellbogen ins Kissen gestützt. Julius, der ihr sacht übers Haar fuhr, ihre Wange streichelte, ganz träumerisch zart, fast so, als ob sie beide Engelwesen wären, keine Menschen aus Fleisch und Blut.
Vor dem Fenster seines Schlafgemachs ging eben die Sonne auf – Mittwoch, durchfuhr’s sie, heut wird der kleine Nico drunten auf dem Gottesacker begraben. Sie verspürte einen Stich. Später, dachte sie, nachher würde sie zur Beerdigung gehen und mit dem Flößer reden, dem Vater des kleinen Nico, und auch mit ihrem eigenen – mit Vater Sigmund.
Unverwandt sah Julius sie an, aus rehbraunen Augen, die wie von Tränen schimmerten. Was nur war mit ihm? War es ihr Anblick, ihre Gegenwart, die ihn so sehr rührten? Liebte er sie so innig, dass er nichts anderes mehr sich wünschte, als ganz nah bei ihr zu sein? Seine Hand streichelte ihre Wange, sacht zog er sie zu sich heran, mit behutsamer Zärtlichkeit, ganz ohne die ungestüme, gebieterische Begierde, mit der er schon mehr als einmal über sie gekommen war.
Er beugte sich auf sie herab, und seine langen braunen Haare fielen wie ein Vorhang über sie. Warm und weich glitten seine Lippen über ihre Schläfe, die Wange hinab und drückten sich sacht auf ihren Mund, den sie bereitwillig für ihn öffnete. Sie spürte das Zucken seiner Unterlippe, und da durchströmte sie eine Woge so heißer Zärtlichkeit, dass auch ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie umschlang ihn mit beiden Armen, zog seinen warmen, schlanken Leib auf sich und nahm ihn mit einem erwartungsvollen Seufzer in sich auf.
Wie wundervoll, ihn in ihrem Innersten zu fühlen. So sachte, in so vollkommenem Gleichklang bewegten sich ihre Körper und Seelen, als ob sie wahrhaftig zu einem Wesen verschmolzen wären, wie unlängst in ihrem Traum. Sie senkte die Lider und erblickte die samtrote Treppe vor sich, deren Stufen bei der kleinsten Berührung erbebten. Sie öffnete ihre Augen wieder und sah in Julius’ Gesicht, das sie noch immer anlächelte, voll überströmender Zärtlichkeit.
Wenn es ein Paradies gibt, eine Seligkeit, ein Elysium, dachte Markéta, dann muss es so wie unsere Liebe, so wie diese süße Umschlingung des Liebsten sein. Nicht leidenschaftlicher, nicht raffinierter, nicht gieriger, nur niemals endend in alle Ewigkeit.
Plötzlich hoben unten in der Stadt die Glocken zu läuten an, und der schüttere Klang zerriss binnen weniger Herzschläge das Gewebe ihrer Zweieinigkeit. Julius’ Augen verdunkelten sich, seine Miene wurde abwesend, als ob er auf ein Geschehnis in der Ferne horchte. Zugleich begann er sich heftiger auf ihr zu bewegen, ihren leisen, gemeinsamen Rhythmus zu zerstören, der schmiegsame Zauberstab seiner Zärtlichkeit wurde wieder zum Zepter des Herrschers, der Lust empfing, sich der Begierde ergab, ohne auch seinerseits zu geben.
Immer heftiger stieß er in ihren Schoß hinein, nun
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