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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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von Kanonenschüssen, die das ganze Gemäuer erzittern ließen.
    Flor erstarrte vor Schreck, als die Schüsse explodierten, aber Markéta redete beruhigend auf ihn ein. Endlich ließ er sich weiterziehen, näher an die Karosse heran. Gerade sprang die Kutschtür auf, steifbeinig stieg eine hochgewachsene Gestalt aus, in scharlachrotem Umhang, auf dem Kopf einen schwarzen Hut mit langer, wippender Feder, der ein Gesicht mit Julius’ feinen Zügen, Julius’ Nase, Julius’ spitzem Kinn verschattete. Dann schloss sich ein Wall baumlanger Gardisten um den Kaiser, der eilends auf die Tür zum Fürstentrakt zustakste und einen Lidschlag drauf verschwunden war.
    Drei weitere holpernde Herzschläge später stand d’Alembert vor ihr, sein Gesicht erschreckend nackt und glitzernd vor Schweiß.
    »Was … was ist mit Euch, Maître?«
    »Pardonnez-moi, madame, es pressiert.« Er streckte eine Hand nach Flors Engelsärmel aus, worauf der Nabellose wimmernd hinter Markéta Deckung suchte. »Der Kaiser wünscht die Kreatur zu inspizieren, noch vor der Schildkrötensuppe.«
    »Nun denn, bringt ihn zu Ihrer Majestät, Monsieur.« D’Alembert fixierte sie mit gerunzelter Stirn, auf der dicke Schweißtropfen standen. Abermals zog er halbherzig an Flors Ärmel, aber der Nabellose wimmerte nur umso lauter und krallte sich mit beiden Händen in ihr Herbstzeitlosenkleid.
    »Ich fürchte, für Euer Problem gibt es nur eine elegante Lösung, Monsieur«, sagte Markéta. »Wenn Ihr nicht wollt, dass der Kaiser Euch zürnt, lasst mich Flor zu ihm bringen.«
    Er nickte mit der Miene eines Geschlagenen. Der Maître ist krank, dachte sie, auch er ist geschwächt in seinem Kampf gegen Hezilow. Sie legte Flor einen Arm um die Schultern und folgte d’Alembert in den Fürstentrakt, durch das reich mit italienischen Fresken verzierte Treppenhaus bis ins zweite Geschoss empor.
    Ihr Kopf dröhnte noch immer vor Schmerzen, und das Herz klopfte ihr bis in den Hals hinauf, nicht allein von der Mühsal des Treppensteigens im Korsett. Hand in Hand gingen sie durch eine Flucht prachtvoller Säle und Gemächer, in denen sie nie zuvor gewesen war. Drei Schritte vor ihnen ließ der Maître sein Stöckchen durch die Luft wirbeln, als ob er auf unsichtbare Trommeln schlüge.
    Vor einer weißen Doppeltür mit dem Wappen der Rosenberger standen zwei kaiserliche Gardisten. Sie wechselten rasche Blicke, als das sonderbare Pärchen hinter dem Obersthofmeister nahte, goldschopfiger Engel und Herbstzeitlose.
    »Die Kreatur«, sagte d’Alembert, mit seinem Stöckchen auf Flor deutend, »nebst Betreuerin«, das Stöckchen ruckte weiter und deutete nun auf sie.
    Die Tür glitt auf, und hinter d’Alemberts schmalem weißen Rücken traten Flor und Markéta in einen Saal, in dem es so dämmrig war wie zur späten Abendstunde; dabei hatte es gerade erst drei geschlagen. Die väterliche Majestät, dachte Markéta, scheut das Sonnenlicht nicht minder als ihr Sohn. Nur allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das rauchige Licht, das dicke weiße Kerzen in Silberlüstern spendeten. Die Fenster hinaus zur Moldau waren allesamt hinter dunklen Vorhängen verborgen.
    Als d’Alembert innehielt, blieben auch sie und Flor stehen, mitten im Saal. Sie erkannte eine Tafel, prächtig gedeckt mit weißem Linnen, Gold und Silber, doch viel kleiner, als sie erwartet hatte. Allenfalls ein Dutzend Personen auf hochlehnigen Stühlen, die meisten ihr unbekannt, alle schwarz gekleidet, mit spanischer Strenge, an der Spitze der Tafel die väterliche Majestät. Don Julius, dem Kaiser gegenüber, wandte ihr den Rücken zu, und er drehte sich auch nicht um zu ihnen, als d’Alembert mit heiserer Stimme vermeldete:
    »Durchlauchtigste Majestät, wenn Ihr geruhen wollt, Euren Blick auf diesen Knaben zu lenken: Es ist der Nabellose, die bewusste Kreatur.«
    Der Kaiser ließ die Serviette sinken, mit der er sich eben den Mund abgetupft hatte, und seine gichtknotige Hand bedeutete ihnen, Flor näher heranzuführen. D’Alembert wollte den Nabellosen packen, doch der verkroch sich wieder mit leisem Wimmern hinter Markétas ausladendem Kleid.
    »Ruhig, Flor, dir wird nichts Arges geschehen.« Sie nahm ihn bei der Hand, wie ihn die alte Steinerin bei der Hand geführt hatte, mit vier, elf und noch mit siebzehn Jahren. So ging sie langsam an der Tafel entlang, Johanna von Waldsteins Blick ignorierend und den Blick ihres Geliebten entbehrend, der unverwandt nur die väterliche Majestät ansah.
    Zwei

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