Der Alchimist von Krumau
Schritte vor Rudolf sank sie auf die Knie und zog Flor mit sich herunter. Der Kaiser sah sie aufmerksam an, sein fein geschnittenes Gesicht war ein grämlich erschlafftes Urbild der Züge seines Sohnes. Wie gut sie auf einmal Julius’ Zorn gegen jene verstand, die ihm die Sukzession verwehren wollten, er war ja ganz und gar die väterliche Majestät, nur jünger, entschlossener, stärker.
Noch immer schweigend richtete Rudolf seinen Blick auf Flor. Offenbar wagte niemand im Saal auch nur eine Silbe zu wispern, solange der Kaiser nicht die Stimme erhob, dabei konnte Johanna am andern Ende der Tafel anscheinend kaum mehr an sich halten vor Empörung. Sie war in eine Art Nonnentracht gewandet, ein schwarzes Gewand mit ebenso schlichtem schwarzem Umhang, ihre Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, das schmale Gesicht unter der strengen weißen Haube eine Maske kalten Zorns.
»Der bewusste Knabe.« Rudolfs Stimme klang matt und dünn, so als hätte er stundenlang geschwiegen. »Nun, Wir werden sehen. – Verwahrt ihn an einem sicheren Ort, Don Julius«, wandte er sich an seinen Sohn, der ihn mit automatenhafter Starre ansah, sein Gesicht so bleich wie mit Mondstaub gepudert. »Nachher wird uns der Magister die Prozedur erklären.« Wieder griff er nach seiner Serviette.
»Nun wünschen wir zu speisen.«
Julius erhob sich. Mit der Miene eines Kindes, das jedes elterliche Gebot peinlich zu erfüllen trachtet, trat er zu Flor und packte ihn so gewaltsam beim Arm, dass sich der Nabellose unter leisem Wimmern empor-und davonziehen ließ.
»Und sie dort«, ließ sich die väterliche Majestät vernehmen,
»sagt an, Maître, wer ist das frische Kind?«
Er deutete mit seinem silbernen Tafelmesser auf Markéta, die sich halb abgewandt hatte, um mit den Blicken Julius zu folgen, der soeben Flor seinen Gardisten übergab. Als sie sich wieder umdrehte, setzte der Maître gerade zu einer Antwort an, doch zu verstehen war nichts, denn im gleichen Moment begann Johanna von Waldstein lauthals zu singen:
»Jetzt scheint die Welt dem neuen Sinn Erst wie ein Vaterland, Ein neues Leben nimmt man hin, Entzückt aus seiner Hand!«
Und während der sich sträubende Flor von Mular und Mikesch aus dem Saal gezerrt wurde und Don Julius an seinen Platz zurückkehrte, mit mehlbleichem Antlitz, automatenhaften Bewegungen und noch immer ohne einen Blick für Markéta, traten hinter einem Vorhang im Rücken der Waldstein alle zwölf Nonnen ihrer geistlichen Salvaguardia hervor und stimmten mit schallendem Sopran in die Lobpreisung himmlischer Güte und Seligkeit ein:
»Hinunter in das tiefe Meer Versank des Todes Graun, Und jeder kann nun leicht und hehr In seine Zukunft schaun!
Der dunkle Weg, den er betrat, Geht in den Himmel aus, Und wer nur hört auf seinen Rat, Kommt auch in Vaters Haus!«
D’Alembert berührte Markéta am Arm und beugte sich ihrem Ohr entgegen: »Das gilt Euch, Madame, eilt hinaus, vite, vite – bevor der kaiserliche Zorn entbrennt!«
Benommen stand sie auf und ließ sich von ihm zur Tür ziehen. Als sie noch einmal über die Schulter zurücksah, löffelten alle am Tisch Versammelten ihre dampfende Schildkrötensuppe, während die Nonnen, hinter der Tafel aufgereiht, weiter ihren Lobpreis schmetterten und dabei rhythmisch die schwarzen Kruzifixe gen Himmel schwenkten:
»Nun weint auch keiner mehr allhie, Wenn eins die Augen schließt, Vom Wiedersehn, spät oder früh, Wird dieser Schmerz versüßt!«
63
»Diesen Homunkel hat sich Hezilow in Basel geschaffen, Euer Käjserliche Majestät, im Jahre finfzehnnäjn’nachtzig.« Geflissentlich zum Kaiser hinbuckelnd, der inmitten des Labors auf einem weinroten Samtfauteuil thronte, wies der Puppenmacher mit seinem Stock auf Flors entblößten Leib.
»Halten zu Gnaden – ist sich die Kreatur ohne Nabel, von käjnem Mitterchen geboren.« Und er stieß Flor mit dem Ellbogen an, worauf der Nabellose in schaukelnde Bewegung geriet.
Die bedauernswerte Kreatur war mit den Handgelenken an eine Kette gefesselt, die inmitten des Alchimistengewölbes von der Decke herabhing, zwei Schritte vor dem Sessel des Kaisers. Mit aufmerksamer Miene sah die Majestät von Hezilow zum Nabellosen, dessen Augen geschlossen waren, der Kopf zwischen den emporgereckten Armen vornüber gesunken.
»Wenn Euer Herrlichkäjt sich ieberzäjgen mecht – alles echt, alles echt.« Mit seinem Stock pikte Hezilow wahllos in die Haut des Geschaffenen, an Bauch, Armen,
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