Der Alchimist von Krumau
abwärts. Den mit Schneenerzen gefütterten Umhang warf er dennoch nicht ab, im Gegenteil hatte er Pavel befohlen, den Kamin in seinem Salon einzuheizen, mit der Folge, dass er nun gleichzeitig zu erfrieren und zu verglühen meinte. Stöhnend fuhren die Herbstwinde um das Burggemäuer, rüttelten an Fensterläden, lockerten Dachschindeln und ließen die Flammen im Kamin wie bläuliche Dämonen tanzen.
»Die Kutsche jagt auf schlammiger Straße dahin«, las der Maître. »Am Wegesrand grasen Schafe, auf einem Steinbrocken hockt der junge Hirt. Der Wagen hält, zwei Männer springen heraus, in schwarzen Gewändern, mit schwarzen Hüten, an deren Krempen Klatschmohnblüten nicken. Klatschmohn! Zur Abwehr der Pestilenz! Wer hätte von diesem Wundermittel je gehört? Nun, es ist jedenfalls das Erkennungszeichen der russischen Heiler geworden.
Auch der junge Schäfer kennt wohl das Warnwort: ›Wenn der schwarze Kasten, von vier Rappen gezogen, herbeischwankt, nimm die Beine in die Hand.‹ Er springt auf, im nächsten Moment aber haben die Heiler seine Beine in Händen, seine Fußknöchel, um genau zu sein.
Er sträubt und windet sich, der Hund des Hirten bellt sich die Kehle wund, die beiden Kerle jauchzen und japsen. Ziehen die Hüte, verneigen sich vor dem Burschen, der vor ihnen im Gras liegt: ›Oblion, habe die Ehre.‹ – ›Gott zum Gruße, Tákie.‹ Und reißen ihm währenddessen schon das Gewand vom Leib, wie er sich auch sträuben und winden mag.
Der Unselige schreit und schreit, da schieben sie ihm einen Trichter ins Maul und gießen einen Schlangentrunk hindurch, der schmeckt so widerlich, dass sich der Schäfer gleich erbricht. Aber sie zwängen ihm das Maul aufs Neue auf und gießen noch viel mehr Krötensaft hinein.
Der Gepeinigte winselt, bleibt endlich still, die Augen geschlossen wie in tiefem Schlaf. Der eine schlägt ihm auf die Brust, in den Bauch, versetzt ihm Backpfeifen, dass es klatscht. Der andere holt Kohlebecken und Zange aus der Kutsche und beginnt, den unseligen Schäfer mit glühenden Stückchen zu traktieren. Endlich schleppen sie einen Bottich Wasser von der Tränke herbei und gießen ihn dem Hirten übers Haupt. ›Hat er Schmerzen‹, fragt der eine, ›wo und welcher Art? ‹, forscht der andere fürsorglichen Blicks.
Und dann ächzt der Schäfer, benommen wie nach siebzehn Hollerschnäpsen: ›Ah, die Brust tut so weh, überall brennt’s, als wenn ich Fieber hätt. Und da, die roten Wunden, was ist das nur? ‹
›Die Pest, mein Besten,‹ krähen da die beiden und verneigen sich wieder, dass der Klatschmohn wackelt, ›keine Sorge, wir kurieren ihn schon aus.‹ Und packen den Kerl wie einen Hadersack und werfen ihn in die Kutsche, und hurra rumpeln sie weiter, zum nächsten Weiler, wo es einer jungen Magd, einem Knecht oder drei Bauerskindlein auf gleiche Art ergeht.
Und so füllt sich das alte Kastell, Monsieur, nicht allein mit den zum Strang Verdammten, die Scharfrichter Schatz zur Trutze hin liefert, sondern viel rascher noch mit blühender Jugend aus dem ganzen Rosenberger Land.«
Mit dem Handrücken fuhr sich d’Alembert über Stirn und Wangen, raschelnd fiel der Packen Späherbriefe zu Boden. Als er sich bückte, um sie zusammenzuraffen, wurde ihm schwarz vor Augen. Sonderbarerweise war ihm im nächsten Moment, als ob er die Schreiben wieder in Händen hielte und darin läse: »Im Kastell haben sie den ganzen Rittersaal schwappend voll mit Wasser angefüllt. In diesem gewaltigen Becken schwimmen die Pestilenzischen und die von Schatzens Strang Geborgten, im Ganzen zwei bis drei Dutzend, wie Fische hin und her.«
Als er die Augen aufschlug, sahen zwei liebe Köpfchen unter schwarzen Locken auf ihn herunter, links Lenka, rechts Fabrio.
Er selbst lag der Länge nach auf seinem Teppich, hingestreckt vor dem hirschledernen Sofa, seinen Kopf in die Briefe gebettet. Fabrio nestelte an seinem Kragen, um ihm Luft oder sonstige Linderung zu verschaffen, der Maître ließ es matten Herzens zu.
Fast war er froh um den wunderlichen Traum, der sich immerhin mit wünschenswerter Deutlichkeit von allem abhob, was irgend als Wirklichkeit durchgehen konnte. Der Rittersaal schwappend voll Wasser, darin die Pestilenzischen schwimmend: Das konnte gewiss nicht sein.
»Helft uns, Maître«, wisperte Fabrio honigsanft an seinem Ohr.
»Helft der Lenka, Monsieur, das Teufelchen tobt in ihrem Bauch und will dringlich aus der Fotz heraus. Schaut doch.« Und er zog und zerrte seine
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