Der Alchimist von Krumau
geführt hab – seit zwanzig Jahren ist kein Tag vergangen, an dem ich’s mich nicht selbst gefragt hab.«
Während er sprach, begannen sämtliche Gesellen unter ihnen in hohen, belfernden Tönen zu hecheln, in rasender Folge, untermalt von hallendem Klatschen, wieder und wieder, sechzig, achtzig, hundert qualvolle Herzschläge lang, dann endlich wurde es unten still.
»Und Bianca?« Sie presste es hervor. »Hast du sie nie gefragt?«
»Nein.« Der Bader senkte den Kopf und sah seinen Händen zu, die sich vor ihm zu Fäusten ballten, wieder öffneten, neuerlich schlossen. »Es war … eine stumme Übereinkunft: Ich frag sie nicht, nach nichts von dem, was vorher war, und dafür bleibt sie bei mir, beklagt sich niemals über ihr kümmerliches Leben als Badersfrau.«
Aber sie hat ja oft genug geklagt, dachte Markéta, wenn nicht mit Worten, dann zumindest, indem sie still vor unsern Augen litt. Traurige Frau, zerfahrenes Paar. Aber wer hätte je behauptet, dass wir auf Erden sind, um glücklich zu werden? Pater Hasek gewiss nicht und Priester Miguel, sein grimmiger Nachfolger, noch viel weniger. Charles d’Alembert kam ihr in den Sinn – aber auch er ist nicht glücklich, dachte sie, wenn auch auf andere Art: Sinnenfreuden preisend und zugleich sich selber geißelnd wie ein Büßermönch. Und nun ist er krank und wird vielleicht auch bald sterben, auch wenn er sich mit zäher Willenskraft noch einmal aufgerappelt hat.
»Und doch bist du – für mich – mein Töchterlein«, sagte der Bader in ihre Gedanken hinein, »immer schon und für alle Zeiten.«
Es klang wenig überzeugend, dachte Markéta, so als ob er sich einen Ruck gegeben hätte, um endlich – viel zu spät – die Worte zu sagen, die ihm zuvor schon tausendmal auf der Zunge vertrocknet waren.
Stumm sahen sie aneinander vorbei. Markéta lauschte dem Malmen und Rauschen der Moldau unterm Fenster, gestern noch vertrautes Murmeln, heut schon nur noch ein fremd in den Ohren tosender Krach.
Hat Mutter Bianca niemals angedeutet, wer ihr Buhle war droben auf der Burg? Nein, sie brachte es nicht über sich, den Bader zu fragen. Zu sehr schmerzte ihn noch immer der Verdacht, ein betrogener Betrüger und käuflicher Kuckucksvater zu sein. Ein Argwohn, der an ihm nagte, seit die gestrauchelte Braut droben aus der Burg gefallen war und er sie in seinen Armen aufgefangen hatte, vor zwanzig Jahren.
Sie erhob sich, lächelte auf den Bader hinab und ging aus der Tür. Das Gespräch hatte sie keinen Zoll weitergebracht, dachte sie, weder was die angebliche Pest anging noch ihre ebenso nebelhafte Herkunft.
Unten in der Badestube lagen Hezilows Kerle rücklings auf den Weibern, wie Knochensäcke auf siedendroten Pfühlen, die Schädel zwischen ungeheuren Polstern eingesunken und mit offenen Mäulern schnarchend.
72
»Mit ihren enormen schwarzen Kutschen fahren sie durch die Grafschaft«, las d’Alembert, »von Dorf zu Gut, von Meierei zu Weiler und lesen auf, was ihnen in die Hände gerät.«
Benommen blätterte er in den Berichten seiner Späher. Dass er genau diese Szenen in tausend Träumen vorausgesehen hatte, ließ die Rapporte umso unheimlicher erscheinen, so als ob der Deich zwischen Tag und Traum nun vollends durchweicht wäre.
»Seit wenigen Wochen erst streifen sie umher, und doch kennt sie schon jedes Kind im ganzen Land, ja vor allem die jungen und die ganz kleinen Leute: Die nämlich fangen sie besonders emsig ein.«
Auch der Umstand, dass Fabrio und Lenka wieder bei ihm auf dem Hirschsofa saßen, mutete den Maître absonderlich an, wie die spukhafte Wiederholung eines Geschehens, das aus trüben Tiefen wieder aufgetaucht war, um nochmals Gegenwart vorzugaukeln.
»Gewiss, die Männer – allesamt Russen – erfüllen nur ihre Pflicht, die ihnen von der gräflichen Exzellenz selbst auferlegt worden ist, auf dringliches Anraten des Medikus und mit Billigung der Kirche, namentlich des heiligen Ordens der Dominikanerinnen. Eine Pflicht indessen, die ihnen fatalen Genuss zu bereiten scheint.«
Von spukhafter Wiederholung konnte allerdings keine Rede sein, sagte sich d’Alembert, indem er vor seinem Fenster wendete und abermals auf die Tür zuging, jedenfalls nicht, soweit es die Syrakuser betraf: Unter Lenkas Hemd begann sich unübersehbar ein Bäuchlein zu wölben, und Fabrio, der sonst kaum einen Blick für den Maître hatte – Fabrio sah ihn geradezu schmachtenden Blickes an.
Auf seinem Rücken rollte ein kalter Schweißtropfen
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