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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ein wenig, und sah über die Schulter zurück. Im schwarzen Lumpenumhang stand Hezilow mitten im Gewölbe, den Kopf in den Nacken gelegt, in den Händen ein dickes Seil, das offenbar von der Decke herabhing und sich wenig über ihm in der Dunkelheit verlor.
    Da oben, Markéta, sieh doch, unter der Decke, wo die Finsternis so dick wie Tinte ist: Da lauert er, der alte Drach’!
    Auch die Verse wurden ihm gleich wieder lebendig – »Ich flieg hinweg, es sei denn, dass man mich anbind gar wohl mit Maß« –, so lebhaft, dass er sie laut aufgesagt hätte, wäre Markéta ihm nicht mahnend in die Rede gefahren. Still, still, bei allen Heiligen, lieber Flor!
    Aber er schwieg ja schon still – »Ich hab viel Form, Farb und Gestalt / führ in mir Manns und Weibs Gewalt« –, leise rappelte er sich auf, seine Kette geistesgegenwärtig straffend, um ihr Klirren zu einem rostigen Gewisper zu dämpfen. Er wagte kaum zu atmen, noch weniger seinen Blick zur Decke zu erheben, während er sich hinter einer Säule verbarg – »Wer also bin ich, schweb unterm Dach; kein andrer als Ourob, der alte Drach’.«
    Nur ruhig, ganz ruhig, ich bin ja bei dir, lieber Flor.
    Von Hezilows gewölbten Händen umschlossen, stieg das Seil langsam in die Höhe, unter misstönendem Kreischen einer Winde, die sich droben unter der Decke befinden musste, auch wenn dort nichts zu sehen war, nur Finsternis, worin die dunkelroten Augen glühten.
    Ebenso langsam, unter puppenhaftem Rucken und metallenem Kreischen, schwebte am anderen Seilende der riesenhafte Drache hernieder.
    Flor begann zu zittern, seine Kehle voll zerquetschter Schreie. Sieh doch, Markéta, sieh doch: der schwarze Vogel der Nacht!
    Seine Federn sind Menschenhaar, Leib und Schwingen von Lederhaut umschlossen, Markéta, und sieh doch – seine Augen! Funkelnde Karbunkeln, ich seh’s ja, mein kleiner Flor.
    Die Zähne aufeinander gebissen, um sich nicht durch knöchernes Klappern zu verraten, stand Flor im Schatten der Säule und sah unverwandt zu, wie der Magister, geschäftig auf und ab humpelnd, einige verschobene Knochen in der linken Schwinge richtete, dann einen prall gefüllten Sack und eine Schüssel voll Knochenleim herbeiholte. Mit hölzernem Löffel verstrich er Leim auf schütteren Stellen im Bestiengefieder, dann zog er Büschel schwarzen Menschenhaars aus dem Hadersack und füllte die Lücken damit auf.
    Das ist sein Geheimnis, sein tiefstes Geheimnis, armer Flor.

  80
     
     
    Die Brust des Maître hob und senkte sich wie ein Blasebalg, und sein Atem ging stoßweise. Er fühlte sich prächtig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Unter ihm wand und bäumte sich der Syrakuser, nahezu nackt wie er selbst. Schulmäßig hatte er Fabrio auf den Rücken geworfen, mit einem raschen Griff um seine Hüften, und ehe der Knabe sich von seiner Verblüffung erholt hatte, hockte d’Alembert auf ihm, die Schenkel gegen Fabrios Flanken pressend und seine Handgelenke mit eisernen Fäusten umfassend.
    D’Alembert genoss die Bewunderung in Fabrios Blick, hingerissen sah er auf den Jungen hinab, dessen Brust glänzte wie ein Bronzeschild. »Fünf … sechs … sieben …«, stieß er keuchend hervor und musste sich Schweiß aus den Augen blinzeln.
    Noch einmal versuchte sich Fabrio aus dem Griff seines Bezwingers zu befreien. Seine Brust-und Armmuskeln schwollen eindrucksvoll an, seine Hüften bäumten sich empor, und sein Teint nahm einen nahezu violetten Ton an. Aber der Maître ließ sich den Sieg nicht mehr entreißen.
    »Acht … neun … und aus!« D’Alembert löste den Zangengriff seiner Fäuste und Schenkel und erhob sich, schweißüberströmt und schwindlig vor Anstrengung, aber mehr noch vor Stolz. Seine Lunge brannte bei jedem Atemzug, und er musste sich die Fäuste in die Seiten drücken, wie in jüngeren Jahren, wenn er auf seinem Schimmelhengst über den Turnierplatz galoppiert war.
    »Ihr seid mir über, Maître«, japste Fabrio, der immer noch am Boden lag, wie d’Alembert ihn hingeworfen hatte, mit bewunderndem Lächeln und geröteten Wangen.
    Am liebsten wäre d’Alembert neben ihm niedergekniet, um ihn auf die vorgestülpten Lippen zu küssen, aber das kam nach wie vor nicht in Betracht. Ohnehin waren sie nicht allein in diesem notdürftig entrümpelten Saal im entlegensten Burgflügel.
    Die Morgensonne drang durch Ritzen und Löcher in den morschen Fensterläden und überzog Boden und Wände mit einem Netz bleicher Strahlen. Im Hintergrund des Saals lauerte eine

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