Der Alchimist von Krumau
Zwillinge gestern auf sein Geheiß zusammengetragen hatten. Er bedeutete Fabrio, die Last zu schultern, und warf einen letzten Blick zu Markéta. Die Baderstochter war dicht hinter ihn getreten und spähte aus grünen Augenschlitzen in den finsteren Schacht.
»Kein Licht«, flüsterte er, »höchstens in der ärgsten Not.«
Auf Filzsohlen machten sie sich an den Abstieg, d’Alembert vorneweg, die Zwillinge zum Schluss, die den leise klappernden Hadersack schleppten, zwischen ihnen Markéta, die an einer Hand Lisetta mit sich zog.
Der Schacht war so eng, dass selbst d’Alemberts schmale Schultern immer wieder an die Mauern streiften, die Wände unerwartet glatt und klamm, wie schweißfeuchte Haut. Dunkelheit umschloss sie, so vollkommene Nacht, dass er nicht einmal einen Schatten von Markéta sah, als er sich zu ihr zurückwandte; dabei lag ihre Hand auf seiner linken Schulter. Hinter den Mauern hörte er hin und wieder leises Murmeln, so als ob sie in einem riesenhaften Schädel abwärts stiegen, durch rieselnde Gedanken hindurch.
Wie ärgerlich, dass uns das Offenkundige meist zuletzt auffällt: Das hatte er in den letzten Tagen oft gedacht, nicht nur der verborgenen Röhren und Gänge halber, mehr noch im Hinblick auf den »alten Drach’«, von dem der Nabellose so hartnäckig gestammelt hatte.
Warum nur hatte er dennoch lange Zeit geglaubt, dass Flors verstörte Seele sich den »schwarzen Vogel« nur eingebildet habe? Immer wieder hatte er hin und her gesonnen und war doch jedes Mal zum selben Schluss gekommen: Selbst wenn man unterstellte, dass der Magister möglicherweise Blei in Gold verwandeln konnte, die Annahme, dass er einen lebendigen Drachen zu erschaffen vermochte, war eine Beleidigung des menschlichen Geistes.
Und dabei hatte d’Alembert die Winden und Seile, mit denen Hezilow seine Apparatur aus Spiegeln bewegte, ja mit eigenen Augen gesehen! Dennoch war ihm erst am Weihnachtsabend gedämmert, beim Anblick des lederhäutigen Mumienknäbleins, dass seine Gedanken fehlgegangen waren.
Wie ein Engel schwebte Lenkas Satansfrucht in ihrer Welt aus Spiritus, obwohl sie weder Flügel besaß noch überhaupt lebendig war. Und ebenso brauchte der riesenhafte Vogel, um in Hezilows Unterwelt umherfliegen zu können, durchaus kein leibhaftiger Drache zu sein, natürlich nicht.
Hinter der Baderstochter schlich Lisetta leise wimmernd dahin, gefolgt von den miteinander flüsternden Syrakusern.
»Schscht«, machte d’Alembert, »der Schacht verstärkt jeden Laut!«
Sie verstummten. Nur leiser Atem aus fünf Kehlen war noch zu hören, dazu tappende Schritte und gelegentliches Murmeln im Mauerwerk.
Bei dem vermeintlichen Drachen, dachte d’Alembert, musste es sich also um eine Machination handeln, einen Apparat, den Hezilow aus vielerlei Gründen in seinem Labor installiert haben konnte: um die Gefangenen, die in seinen Kellern schmachteten, einzuschüchtern und jeden Fluchtversuch zu vereiteln; um in Knäblein wie dem kleinen Flor, die er einer unseligen Mutter vor langen Jahren abgelistet hatte, den Glauben einzupflanzen, dass er sie wahrhaftig in seinen Tiegeln erschaffen habe; weil er einem satanischen Wahnsinn verfallen war – oder aus allen diesen Gründen zusammen und einigen weiteren dazu.
Schritt um Schritt stiegen sie auf schlüpfrigen Stufen, in tintendicker Schwärze weiter hinab. Wenn Julius von unserem Verrat erfährt, dachte d’Alembert, lässt er uns alle fünf hinter Jakob Schatzens Hurenhaus aufknüpfen.
Nach seinen Berechnungen führte der Schacht bis auf das Fundament der oberen Burg hinunter, so nämlich, dass die Treppe genau über Hezilows großem Gewölbesaal endete. Dort würden sie eine Falltür oder eine andere Art von Durchschlupf vorfinden, davon war er überzeugt. Denn einen geheimen Treppenschacht über drei Geschosse hinabzuführen, der dann blind auf den Fundamenten endete, das wäre ja so, als würde man einen Schachbauern kurz vor der Ziellinie aufgeben, anstatt ihn mit dem nächsten Schritt in eine Königin umzuwandeln.
Verehrte Königin, dachte d’Alembert, ma chère Madame Katharina, mit dem nächsten Zug schicke ich den Bauern aus; o ihr Götter, lasst es nicht Fabrio sein.
Im nächsten Moment fand er immerhin in einem Punkt seine philosophische Zuversicht belohnt: Der Treppenschacht endete über einer kreisrunden Falltür. D’Alembert bückte sich und zog den Deckel empor. Sein Blick fiel in schwindelnde Tiefe, in den riesigen Felsensaal wohl zwanzig
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