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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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den Haaren in die Kugel unter ihren Häuptern tropfte. Ungeheurer noch schien ihm der Anblick der Gepeinigten über dem Kristallballon, auf deren Seil Markéta einhieb, drei junge Burschen, deren Lebenssäfte aus der klaffenden Leibesmitte troffen. Verzweifelt hackten sie beide auf die Seile ein, endlich krachten die Kugeln hinab, in Myriaden Splitter zerberstend. Die im Glas gestauten Fluten ergossen sich auf den Boden und löschten die Kohleglut. Im nächsten Moment rannten die Befreiten aus ihrem Käfig hervor, funkelnde, wirr gezackte Scherben in den Händen.
    An Fabrios Seil glitten nun auch Lisetta und Lenka nach unten, dann beschrieb der Apparat, von d’Alembert gesteuert, eine Kurve und schwebte unter schaurigem Stöhnen zur Mitte des Felsensaals zurück. Drunten liefen Hezilows Lumpenkerle wild durcheinander, schreiend und gestikulierend. »Der Nabellose – da, fang ihn ein!«, hörte d’Alembert, und gleich darauf: »Holzkopf, da drüben läuft er doch!«
    Meine List bewährt sich, dachte der Maître. Überall im Gewölbe sprangen Dubletten des Nabellosen umher, Fabrio, Lisetta, Lenka, heillose Verwirrung stiftend. Von Anfang an war ihm klar gewesen, dass sie des Nabellosen ebenso wie Hezilows bei lebendigem Leibe habhaft werden mussten. Nur wenn er beweisen, unzweifelhaft beweisen konnte, dass Flor nicht aus der gläsernen Mutter entsprungen, der Magister kein Erleuchteter, sondern ein teuflischer Blender und Schinder war, nur dann wäre der Bann wirklich gebrochen und der Satansspuk vorbei.
    Und nicht zuletzt, dachte d’Alembert, war das Maskenspiel, die foppende Vervielfachung des Nabellosen, seine persönliche Revanche für den dreistesten Kunstgriff des Lumpenteufels, der ihn selbst durch alle Fieberträume verfolgt und verzaubert hatte, die Millionen winziger Homunkel hinter dem Prismenglas. Aber alle Schläue, alle Schliche wären vergebens, wenn sie die Puppen überwältigten, doch der Puppenmacher unbehelligt bliebe.
    D’Alemberts Unbehagen wuchs. Sein ganzer Plan basierte auf der sicheren Erwartung, dass Hezilow hier unten im Gewölbe zusammen mit seinen Lumpenkerlen ertappt und überwältigt würde. Aber wie er sich auch umschaute, vom Puppenmacher war kein Barthaar und keine Schwertspitze mehr zu sehen.
    Auch das Bild der kopfüber Gehenkten ging ihm nach, und es verfolgte ihn noch immer, als er sein weiß gelacktes Wams aufknöpfte. Die Aufgeknüpften, dachte er, wie sie über den Glasballons schaukelten und das Leben aus ihren Leibern rann, leuchtend rot und sämig weiß. Weiberblut und spermium. Unter seinem Wams, direkt auf der Haut, trug er das hirschlederne Futteral mit den zwölf Wurfmessern, das Petrusco Bandinello ihm vor zwanzig Jahren zugeeignet hatte: »Die Bestien zu bändigen ist Artistik«, so der Legendäre, »Artistik aber ist Aufschub, mon jeune ami, und irgendwann muss jeder Bändiger sich dem so kunstvoll hinausgeschobenen Kampf stellen.« Bandinello hatte davon geträumt, die Ungeheuer, die er ein Leben lang dressiert und zu Ritualen der Unterwürfigkeit gezwungen hatte, bei seinem allerletzten Auftritt vor den Augen seines Publikums zu töten, dachte d’Alembert, indem er das erste Wurfmesser aus dem Futteral zog. Er sah über die Schulter zurück, doch Markéta saß nicht mehr hinter ihm. Vergeblich versuchte er sich zu entsinnen, ob sie vorhin schon, zusammen mit Lisetta und Lenka, am Seil hinabgeklettert war oder zu irgendeinem späteren Zeitpunkt. Sie sucht den Nabellosen, dachte er, und ihren Bader, wog das Messer in seiner Hand und warf es mit einer eleganten, tausendmal erprobten Gebärde hinab. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er den Flug der wirbelnden Waffe und zog schon das nächste Messer hervor, als zwanzig Schritte unter ihm Oblion zu Boden ging, die Klinge bis zum Heft in seinem Lumpenherz.
    Ein Wurfmesser nach dem anderen zog d’Alembert aus dem Hirschfutteral, mit gleichmäßigen Bewegungen. Er zielte und warf, traf und tötete, erleichtert, dass das Verderben, das er Hezilows Häschern sandte, seinen Geist von den Bildern ablenkte, die dort hinten im Gewölbewinkel seines Bewusstseins lauerten.
    Am ärgsten war der Anblick der Kreatur im mittleren Glasballon gewesen: ungewiss, ob Maid, ob Knabe, die Gestalt formlos, kochend rot, die Augen aufgerissen, der Mund geöffnet wie zu einem stummen Schrei. Durch gläserne Röhren waren die Säfte aus den beiden anderen Ballons in die Kugel der Kreatur geflossen, Weiberblut und spermium, wie es die

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