Der Alchimist von Krumau
schien. Und da erst, in diesem Augenblick, als er, von Licht übergossen, mit Fabrio über die Schwelle schritt, wurde d’Alembert bewusst, was für ein ungeheures Wagnis sie eingegangen waren.
Durch die Hölle gegangen und ins Licht zurückgekehrt. Mit einem Mal hielt er Fabrio in seinen Armen, ohne die mindeste Ahnung, wie es dazu gekommen war. Drei Zoll vor ihm schwebte das lächelnde Antlitz des Syrakusers, und d’Alembert wollte sich ihm eben entgegenneigen, als hinter ihnen, vom Gewölbe her, ein grässliches Stöhnen und Dröhnen ertönte. Das Malmen und Kreischen eines ungeheuren Untiers, das sich wie rasend aus den Tiefen der Unterwelt hervorgrub, in diesem Moment aus dem Gewölbetor schoss und in steiler, windgeschwinder Fahrt in den Winterhimmel stieg.
»Gehabt Euch wohl, Maître Weichkäs!«, kreischte der Puppenmacher hoch über ihren Köpfen, rittlings auf seinem Drachen hockend.
»Wird sich Magister Hezilow anderwärts Aquaster destillieren!« Vor ihm lag der Nabellose, seitlich über den Rumpf der Apparatur geworfen, ein schlaffes Bündel, tot oder in tiefem Schlaf.
D’Alembert und Fabrio sahen ihnen nach, wie sie über die Dächer der Burg hinwegschossen, der Maître förmlich niedergedrückt von der Gewissheit, übertölpelt und besiegt zu sein. In diesem Moment seiner tiefsten Demütigung hielt es selbst d’Alembert für möglich, dass Hezilow lebendige Kreaturen zu erschaffen vermochte, Knaben oder Drachen, aus Blut oder Mondsaft, Lehm oder Lumpen, ganz wie es dem teuflischen Puppenmacher beliebte.
»Vollendet den Stein.«
NEUN – LAPIDIFICATIO
84
Beim sonntäglichen Messegeläut trafen hundertfünfzig Soldaten der kaiserlichen Garde in Krumau ein, angeführt von Oberst Alban Hoyos. Ihnen folgte eine zweispännige Kutsche, in der eine edle Dame ganz in Weiß und ein hübscher junger Bursche mit kohleschwarzen Augen saßen. Man schrieb den 31. Dezember 1607 A.D.
Die vornehme Dame nahm fürs Erste Logis im Gasthaus zum »Goldenen Fass«, dessen Wirtsleute noch immer Trauerflore am Ärmel trugen. Ihr kleiner Silvan war der Pestilenz zum Opfer gefallen, wie Stanislaus Brodner der Edlen erklärte, ihr älterer Sohn Franz aber diene bei der gräflichen Garde, ein ehrenvoller Posten, was den elterlichen Kummer ein wenig kühle.
Währenddessen ließ Oberst Hoyos die Burg umstellen, Don Julius’ Garde entwaffnen und die gräflichen Offiziere in den Hungerturm werfen, allen voran Kommandeur Jan Mular.
Nachdem auch Medikus von Rosert verhaftet worden war, fuhr die Kutsche abermals vor dem Gasthaus vor, der bronzefarbene Bursche mit den kohleschwarzen Augen sprang heraus und half der Dame galant beim Einstieg. Der Zweispänner ratterte die zweihundert Schritte zur Burg hinauf, und die kaiserlichen Gardisten, die an diesem Vormittag Dutzende Personen und Gefährte abgewiesen hatten, ließen die Kutsche anstandslos ein.
Von alledem erfuhr Markéta aus vielerlei Mündern. Burg und Stadt brodelten vor Gerüchten und wundersamen Geschichten, seit der Puppenmacher davongeflogen war, und mehr noch, seit die kaiserliche Garde die Krumauer Burg besetzt hatte. Und doch glaubte Markéta erst in dem Moment, als die Dame in Julius’ Salon trat, dass Katharina da Strada tatsächlich gekommen war, um ihrem Bastardsohn beizustehen.
Maître d’Alembert hatte es vorausgesagt, doch Markéta war sich nahezu sicher gewesen, dass auch die Stradová sich von ihm abkehren würde, wenn sie hörte, was unter seiner Herrschaft hier in Krumau geschehen war.
»Madame, welch eine Freude, Euch wiederzusehen.« Markéta wollte das Knie vor ihr neigen, aber die mütterliche Mätresse machte einen raschen Schritt und schloss sie in eine zarte Umarmung.
»Um wie viel lieber hätte ich Euch in Prag begrüßt – Euch und meinen Sohn.« Ein Duft von betäubender Süße ging von ihr aus; unwillkürlich hielt Markéta den Atem an. Die Stradová trug ein Kleid aus schimmernd weißer Seide, die Säume besetzt mit weißen Pelzen, die ihrerseits glitzernd weiße Perlen säumten. Sie musste weit in den Dreißigern sein und hatte dem Kaiser eine häupterreiche Kinderschar geboren, und doch strahlte sie noch immer eine mädchenhafte Schönheit aus, die heute allerdings von mütterlicher Sorge überflort war.
»Eure Nähe wird Julius aufrichten und seine Seele von ihrer Verdüsterung befreien.« Markéta beschwor sich, nicht in Tränen auszubrechen, nicht vor Katharina da Strada, deren meisterliche Selbstbeherrschung
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