Der Alchimist von Krumau
Dolch oder Degen, derweil Euer Bastard Euch anglotzt mit blutig geäderten Augen, Laute ausstoßend wie eine verzauberte Kreatur? Und dennoch, Madame, liebe ich ihn wie meinen Sohn.
In den letzten Monaten schien es besser zu werden, dachte er dann, in der Morgendämmerung seinen Salon durchmessend, der ganz in Weiß und Silbertönen eingerichtet war, ja, seit der Jahreswende hatte es den Anschein, als ob der Dämon endlich von ihm gewichen wäre. Aber dann vorgestern Nacht dieses Mariandl, das irgendetwas zu ihm gesagt haben musste, oder gelacht auf eine Weise, die jene Saite in ihm zerreißen ließ – worauf er das Beil hervorzog und auf sie einhieb, weiß der Himmel, wo er die Axt überhaupt hergenommen hatte!
Nur ruhig Blut bewahren, mahnte sich der Maître, indem er vor seinem Fenster stehen blieb, bereits vollständig angekleidet, das Gesicht weiß geschminkt, die Perücke gepudert, obwohl eben erst die Sonne über Krurnau emporstieg. Ein guter Dompteur unterwirft jede Bestie seinem Willen, memorierte er seine Lebensmaxime. Und es gibt nur gute Bändiger, jedenfalls unter den Lebenden.
Abermals zog er den Brief der mütterlichen Mätresse hervor.
Den 5. Mai 1607 A.D. im Hradschin zu Prag
Mon cher maître, es ist tief in der Nacht, und doch muss ich diese Zeilen noch eilends aufs Papier werfen. Ein anonymer Denunziant hat Ihrer Majestät ein Hetzschreiben zugespielt: Er will beobachtet haben, wie unser junger Freund gestern in aller Frühe blutbespritzt aus seinen Gemächern gestürzt sei, aus denen gewisse Helfershelfer kurz darauf eine verschandelte Mädchenleiche davongetragen hätten. Tatsächlich wurde heut Mittag am bezeichneten Ort ein Korpus gefunden, im Gestrüpp weitab am Moldauufer. Dass unser junger Freund vor Morgengrauen die Stadt verlassen hat, verleiht der Tirade des Anonymus einen Anschein von Wahrheit, jedenfalls in den Augen Rudolfs, der sich seither Stunde um Stunde in heiligen Zornreden erging.
Am Kaiser nagen Zweifel, mon cher maître, ob er weise gehandelt habe, als er Euch damals unseren jungen Schützling anvertraute. Mehrmals fragten Ihre Majestät sich lauthals, ob sie nicht besser täten, ihn für alle Zeiten auf ein mährisches Landgut zu verbannen. Dort könne unser Freund allenfalls ein paar altersschwache Ochsen abschlachten, aber keine Menschenkinder, rief der Kaiser noch aus, ehe er erschöpft auf sein Ruhelager fiel.
Mein lieber d’Alembert, sicher könnt Ihr Euch denken, wie sehr mich diese Worte erschüttert haben. Ah, wie Recht Ihr hattet, mein Vertrauter, auf baldige Abreise nach Krumau zu drängen! Wie strahlend muss ihm nun die alte Rosenberger Herrschaft erscheinen. Ach, wäre er nur früher Eurem Ratschlag gefolgt!
Seid gewiss, dass ich alles tun werde, um den kaiserlichen Zorn wieder einzuschläfern, doch bis dahin darf Euer Schützling keinesfalls nach Prag zurückkehren. Vollkommene Ruhe in Krumau, ich beschwöre Euch, mon cher maître , oder der kaiserliche Zorn wird uns alle verderben!
Mit bestürzten, vertrauensvollen etc. etc. Katharina da Strada
Ein Pochen an der Tür, ein höfliches Hüsteln – auch ohne sich umzuwenden, wusste d’Alembert, dass Pavel eingetreten war, sein ältlicher Sekretär.
»Was gibt es, mon ami?« Langsam steckte er den Brief wieder in seine Westentasche und drehte sich mit dem Rücken zum Fenster.
»Verzeiht, Maître, Don Julius lässt Euch rufen.«
»Ausgezeichnet, ich wollte ohnehin zu ihm.« Aber wieso ist er um diese Zeit schon auf?, fragte sich d’Alembert. Er konnte sich überhaupt nicht erinnern, wann sich Julius jemals zu so früher Stunde erhoben hatte, ausgenommen nur das halbe Jahr im Kloster zu Gaming, wo er von schmallippigen Kartäusermönchen in Theologie unterrichtet worden war.
Es kann nichts Gutes bedeuten, dachte der Maître, indem er Pavel zunickte und hinaus auf den Gang trat. Wahrscheinlich steht Julius in Hut und Mantel auf dem Hof und verlangt seine sofortige Rückkehr nach Prag. Aber daraus wird nichts, Exzellenz. Vollkommene Ruhe in Krumau!
D’Alembert ließ sein Stöckchen durch die Luft wirbeln und eilte durch dämmrige Gänge hinüber zum gräflichen Appartement, wo er Don Julius in größter Erregung antraf, seine braunen Augen von jenem Glanz erfüllt, den er seit vielen Jahren fürchtete.
»Ah, da seid Ihr, Maître«, rief ihm Julius entgegen, »bringt mich eilends in den Thronsaal. Gleich werden ja die Leute aus der Stadt heraufkommen, Ratsherren, Ritter,
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