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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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geisterhaften Einzelheiten: am Lächeln der Diener und an den Blicken der Kammerherren, an den erkaltenden Zärtlichkeiten der mütterlichen Mätresse und dem Augenzucken, das die väterliche Majestät in seiner Gegenwart befällt. »Schsch, der Bastardsohn«, hat er einmal flüstern hören, als er ein kaiserliches Vorzimmer betrat, und wie er nachher den Maître fragt, wiegelt der auf eine Weise ab, dass Julius jahrelang nicht wagt, zu dieser Frage zurückzukehren. Bastardsohn, seither gaukelt das Rätselwort durch seinen Kopf und seine Träume. Was verbergen, was verschweigen sie nur allesamt vor ihm? Ein Lügengespinst, wahrhaftig wie Spinnweb: Man greift hinein und bekommt nur Fetzen zu fassen. Ich bin sein erstgeborener Sohn, und eines Tages werde ich das kaiserliche Zepter tragen, denkt Julius zum hundersten oder tausendsten Mal, hält den Atem an und schiebt die Tür zum Kabinett auf.
    Der Anblick im Innern ist so unerwartet, so sehr aus seinen eignen Schreckensträumen geboren, dass er beinahe aufgeschrien hätte. Im nächsten Moment wird ihm klar, dass die zierliche Gestalt mit dem wächsernen Antlitz über blauer Seidenweste, die in der Kammer vor ihm steht, niemand als er selbst ist, vielmehr sein von Kerzen beschienenes Abbild in der Spiegelwand vis-à-vis. Zu seiner Rechten aber hockt ein kleiner Bursche am Boden, von Kopf bis Fuß braun befeilt, die überlangen Gliedmaßen um den klobigen Rumpf gelegt.
    »Ah, mein Bascardbruder«, nuschelt der Kerl, springt Julius aus dem Spiegel entgegen und packt mit pelziger Pratze seine Rechte, um sie kraft-und endlos zu schütteln.
    Diesmal kann Julius den Schrei nicht unterdrücken. Er reißt seine Finger aus der Tierpfote heraus, stößt den »Bastardbruder«, der ihm hinterherstürzen will, ins Kabinett zurück, zieht mit schlotternder Hand die Tür zu und dreht den Schlüssel, während der pelzige Schelm drinnen am Riegel zerrt.
    »Bruder«, hört er, »Bastard -Julius, wie du!«
    Er presst sich die Fäuste auf die Ohren und rennt davon, durch den nachtfinstern Flur zurück, Treppen hinauf und hinab, durch Gänge, Dämmersäle, Geistergemächer. Er ist viel zu durcheinander, um auf seinen Weg zu achten oder auf die Diener und Kammerherren, die Blicke wechseln, während er an ihnen vorüberjagt. So hat der Maître diesmal leichtes Spiel, doch auch das ist Julius gleich, ja mehr noch, es scheint ihm nur allzu richtig, dass d’Alembert ihn grausamer als je zuvor bestraft.
    Niemals erwähnt Julius vor irgendwem, wen er in jenem Kabinett gesehen hat, und niemals versucht er dorthin zurückzukehren. Noch während er an jenem Tag vor d’Alembert kniet – halbnackt, zitternd vor Kälte, einen schweren Lederfolianten auf dem Kopf balancierend –, sagt er, mehr zu sich selbst als zum Maître: »Und doch werd ich eines Tages das väterliche Zepter tragen, wartet nur.«
    »Schweig, Knabe!«, befiehlt d’Alembert mit einer Miene, in der sich Strenge und Erschrecken aufs Wunderlichste mischen.
    Nicht lange danach begann sich Julius zu fragen, ob er dem pelzigen Burschen vielleicht bloß im Traum begegnet war. Aber ob in Wahn oder Wirklichkeit, der befeilte Kerl hatte jedenfalls wahr gesprochen: Am Morgen seines achten Geburtstags erklärte ihm d’Alembert, dass er niemals eines der väterlichen Reiche erringen könne, weder das Zepter des Kaisers noch die böhmische Wenzelskrone, da er »bloß in tierischen Begriffen Rudolfs Sohn« sei.

  16
     
     
    Die Gemächer des Regenten lagen jenseits des Spiegelsaals, im äußersten Westflügel der Burg. Diesmal waren es Bronja und Lisetta, die Markéta durch Flure und Zimmerfluchten führten, Treppen hinab und Stiegen wieder hinauf. Angestrengt versuchte sie, sich den winkelreichen Weg einzuprägen. Da hatte sie bald zwei Jahrzehnte im Schatten der Burg gelebt und doch nie geahnt, wie ausgedehnt der Herrschersitz auf dem Moldauhügel war. Vor bald sechs Jahren, als sie, fast ein Kind noch, kurzzeitig in den gräflichen Küchengewölben Dienst getan hatte, war sie niemals über den alleruntersten Burghof hinausgekommen, der sich unmittelbar hinter dem Zugtor über der Stadt erstreckte und damals eher einem Bauernhof ähnelte – erfüllt von den Gerüchen und Geräuschen des Viehs in den Ställen, von den Rufen und Flüchen der Meier und Müller, Bäcker und Schlächter, die im Schatten des alten Hungerturms werkten.
    Das Herz zog sich ihr zusammen. Flor, dachte sie, wie mochte es dem Fremdling in seinem Turmverlies ergehen?

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