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Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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den mit Büchern und Kristallen
gesäumten Bibliothekssaal seines Verdickten-Clubs gebeten
anstatt zu sich nach Hause, damit er, wie er ihnen ganz offen
erklärte, falls sie zu langweilig wären oder es zu eilig
hätten, ohne große Verzögerung zu seinen Freunden
zurückkehren könnte, die unten im Speisesaal beim
Festbankett und der dazugehörigen Orgie waren.
    »Wie schön, dass du wieder hier bist, Fassin!«,
sagte Y’sul. »Warum hast du diesen Klein-dweller
mitgebracht? Kann man sie essen?«
    »Nein, natürlich nicht. Sie ist meine
Kollegin.«
    »Ach so! Aber es gibt keine Oerileithe-Seher.«
    »Sie ist keine Seherin.«
    »Also doch keine Kollegin?«
    »Sie soll mich begleiten. Sie wurde von der Ocula der
Justitiarität geschickt, dem militärisch-religiösen
Orden der Merkatoria.«
    »Verstehe.« Y’sul hatte seine besten Kleider an,
schicker Freizeitstil mit vielen bunten Fransen und üppigen
Spitzenmanschetten. Nun schaukelte er nach hinten, drehte sich ein
wenig und kam wieder nach vorne. »Nein, ich verstehe gar nichts!
Was rede ich denn? Was ist diese ›Ocula‹?«
    »Nun ja…«
    Die Erklärung dauerte eine Weile. Nach etwa einer
Viertelstunde – zum Glück fand dies alles in Echtzeit
statt, ohne jeden Verlangsamungsfaktor – glaubte Fassin, er
hätte Y’sul so gut und umfassend informiert, wie er konnte,
ohne allzu viel zu verraten. Auch der Colonel hatte hin und wieder
ein paar Worte eingeworfen, aber Y’sul hatte keinerlei Notiz von
ihr genommen.
    Y’sul war ungefähr fünfzehntausend Jahre alt und
damit voll erwachsen. In ein bis zwei Jahrtausenden würde er in
die erste Phase der Reifeperiode eintreten und zum Traav werden. Mit
neun Metern Vertikaldurchmesser (ohne seinen halboffiziellen
Feststaat mit der imposanten Körperkrause, die ihn noch einen
Meter größer machte) hatte er etwa die Endgröße
für einen Dweller erreicht. Die Doppelscheibe maß fast
fünf Meter in der Breite, die schlicht gekleidete Zentralachse
war kaum als eigenes Teilstück zu erkennen, eher eine
unerwartete Einschnürung zwischen den beiden großen
Rädern. Dweller schrumpften ein wenig, wenn sie das mittlere
Erwachsenenalter überschritten hatten, und verloren mit der Zeit
die Gliedmaßen an Naben und Flossensaum. Wenn sie
schließlich ins Milliardenalter kamen, waren sie oft fast aller
Gliedmaßen beraubt.
    Auch dann konnten sie sich in der Regel noch fortbewegen. Die
Antriebskraft kam von einem System von Flügelrädern an den
Innen- und Außenflächen der beiden Hauptscheiben. Diese
fuhren wie für einen Ruderschlag aus – manchmal drehten sie
sich auch, um zusätzlichen Schwung zu liefern oder zum Steuern
– und legten sich beim Rückschlag flach, so dass der
Dweller durch die Atmosphäre zu rollen schien. Diese
Fortbewegungsart nannte man rottern. Sehr alte Dweller
büßten oft die Beweglichkeit der Flügelräder an
der Außenseite der Scheiben oder auch die Räder selbst
ein, behielten aber gewöhnlich die an der Innenseite, so dass
sie sich immer noch herumrollen konnten, so gebrechlich sei auch sein
mochten.
    »Kurz gesagt«, stellte Y’sul schließlich
fest, »läuft es darauf hinaus, dass du Choal Valseir
suchst, um subjektspezifische Forschungen in einer Bibliothek wieder
aufzunehmen, die unter seiner Kontrolle steht.«
    »So ungefähr«, nickte Fassin.
    »Ich verstehe.«
    »Y’sul, du warst mir immer eine große Hilfe.
Kannst du mich auch dabei unterstützen«?
    »Problem«, sagte Y’sul.
    »Problem?«, fragte Fassin.
    »Valseir ist tot, und seine Bibliothek wurde den Tiefen
übergeben oder wahllos an seinesgleichen, seine
Verbündeten, Angehörigen, Spezialistenkollegen, seine
Feinde oder auch an zufällig Vorüberkommende verteilt.
Wahrscheinlich beides.«
    »Tot?«, fragte Fassin und ließ sein Entsetzen auf
dem Signalpanzer seines Gasschiffs sichtbar werden; ein ganz
spezielles Wirtelmuster, das intellektuelle und emotionale
Bestürzung über das Hinscheiden eines Dweller-Freundes
ausdrückte, der zu allem Unglück im Lauf einer Untersuchung
gestorben war, von der man selbst sehr fasziniert war. »Aber er
war doch erst Choal! Er hatte noch Milliarden Jahre zu
leben!«
    Valseir war etwa eineinhalb Millionen Jahre alt gewesen und hatte
am Übergang von der Schwellen- zur Weisenperiode gestanden.
Choal war die letzte Phase der Schwellenperiode. Das
Durchschnittsalter für die Beförderung vom Schwellen-Choal
zum Weisen-KIND betrug mehr als zwei Millionen Jahre, aber Valseir
war von älteren und

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