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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Mutter.«
    »Ach ja, ich hatte nur ein Bild von ihr, keinen Namen. – Nein, ich habe sie nie getroffen. Aber weißt du, es kommt sowieso selten vor, daß zwei Tote sich begegnen. In den Träumen sowenig wie außerhalb. Wie ja auch zwei Lebende selten den gleichen Traum träumen.«
    »Vielleicht weiß Lana noch nichts von meinem guten Ruf und bleibt mir darum fern.«
    Ich hatte es eigentlich ironisch gemeint. Doch Astri nickte. Nickte, sagte dann aber: »Die meisten toten Mütter halten sich fast immer nur in den Träumen ihrer lebenden Kinder auf. Das ist ganz normal, wenn du stirbst und dein Kind ist noch klein, oder?«
    Jetzt war ich es, der nickte. Ich dachte an die Frauenskulptur von Lehmbruck, bei deren Anblick Simon das erste und letzte Mal den Namen seiner Mutter genannt hatte. Und damit überhaupt das einzige Wort aus einer für ihn fremden Sprache.
    Ja, ich nickte.
    Das Nicken ging über in ein Wiegen und Schmiegen. Es fühlte sich an, als sei Astri meine Zwillingsschwester. Meine lebendige Zwillingsschwester.
    Und dann endlich stellte ich die Frage, die sich so unmittelbar aufdrängt, wenn man einem Toten begegnet. Ich fragte nach Gott.
    Astri lachte und meinte: »Also, weißt du, so sicher unsereins natürlich sagen kann, es bestehe ein Leben nach dem Tod – und das ist ja nicht nichts –, führt das leider überhaupt nicht dazu, sagen zu können, ob ein Gott existiert oder nicht. Geister ja, man ist ja selber einer. Man kann sich also selbst beweisen, aber trotzdem nicht die Frage beantworten, ob sich hinter alldem ein höheres Wesen verbirgt und das Ganze einen Sinn und Zweck besitzt.«
    Schau einer an! Eine bemerkenswerte Möglichkeit, daß nämlich das sogenannte Leben nach dem Tod auch nur eine weitere Laune der Natur darstellt. Eine Fortsetzung des Daseins, aber nicht minder bedeutungslos. Daß letztendlich nicht nur der Leib des Menschen zu Staub zerfällt, sondern irgendwann auch seine Seele.
    Woraus sich die Frage ergab, inwieweit der Tod über ein Ende verfügte und nach dem Jenseits ein weiteres Jenseits folgte.
    »Es heißt, der Tod endet«, sagte Astri, »dann, wenn man eben alt genug ist und sich von der Erde entfernt. Aber was danach kommt, darüber kann man nur spekulieren. Ich weiß von keinem Toten, der wegging und wiederkam.«
    War ich enttäuscht? Nicht wirklich. Im Endeffekt gehörte Gott zu diesen Dingen, deren größter Reiz darin bestand, sich auf sie freuen zu dürfen. Ein Gutschein, dessen Einlösung leicht zu einer Enttäuschung führen konnte. Weil die Dinge selten so großartig waren, wie man sie sich dachte. Nein, im Gutschein selbst lag das ganze Glück. Gott mochte tatsächlich existieren, aber seine schönsten Blüten trieben in unserer Vorstellung.
    Astri lächelte. Ich sah, wie sie begann, sich in ihrem Lächeln aufzulösen. Ein sprudelndes Lippenpaar. Ewiges sinnliches Vitamin C. Faktum war freilich, daß ich sie verlor, mich selbst aus meinem Traum herauslöste und in der Folge erwachte.
    Schwarz!
    Die Kerzen waren ausgegangen und die Stirnlampen abgeschaltet. Ich vernahm den Atem des Kindes, das Schnaufen des kleinen Schläfers. Mir kam es vor, als würde draußen jemand rufen. Aber ich war zu betäubt, um mich aufzurichten. Vielleicht suchte man nach uns. Ganz sicher sogar. Ein Kranz von schlechtem Gewissen umgab mich, half mir aber nicht, in die Aufrechte zu gelangen. Nein, ich blieb liegen und überlegte dumpf, nach meinem Handy zu greifen. Unmittelbar darauf kam mir der Gedanke, wie wenig es hier funktionieren würde, am Berg und im Berg, und schlief erneut ein. Tief und fest.
    Was auch immer ich noch träumte, Astri sah ich in dieser Nacht nicht mehr. Was nicht zu bedeuten brauchte, sie sei nicht dagewesen, denn soviel hatte ich bereits begriffen, wie umfangreich meine Träume waren und daß ich selbst nicht an allen Ecken und Enden gleichzeitig sein konnte. Wie ja auch der Architekt eines Hauses leibhaftig nur an einer Stelle stehen kann.

26
    Der Tag kam, freilich ohne daß sich ein Schimmer frischen Morgenlichts auf dem Parkett unseres Bergzimmers gespiegelt hätte. Doch Simon hatte bereits wieder seine Stirnlampe angedreht und schmökerte in seinem hundertmal gelesenen Donald-Duck-Heft.
    Im Grunde war unsere eigene Situation ein typisches Donald-Duck-Ereignis, das Bürgerliche der Einrichtung mit dem Abenteuerlichen des Ortes verbindend.
    »Morgen, Simon!« sagte ich zu meinem Jungen. Er drehte sich zu mir hin und hüstelte – wie eine kleine Maschine,

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