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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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»beklagt« hatten. Was brauchte ein asexueller Mensch solche Lippen, erst recht, wenn er tot war? Aber die Verteilung der Gaben in der Natur ist prinzipiell ungerecht und oft sinnlos.

    Aus diesen sinnlos schönen Lippen drang nun der warme Wind der Worte. Astri betonte, wie sehr der Alltag eines Menschen in seine Träume übergehe. Man müsse sich das wie eine lange Reihe von Fotos vorstellen, die die Gänge eines Traums ausgestalten und eine Biographie widerspiegeln. Und zwar sehr viel genauer als diese Bücher, die da heißen Mein Leben oder Unter Wölfen oder Gesammelter Briefverkehr , oder auch nur als geheime Bekenntnisse in den Beichtstühlen der Priester oder den Praxen der Analytiker ein ätherisches Fossil bilden. Nein, auch wenn sie erst vor kurzem diesen Raum betreten habe, meinen Raum, wisse sie ganz gut Bescheid, wisse, wie sehr der Umstand, mit diesem Kind zusammen zu sein, mein Leben verändert habe. Mein Leben und daraus folgend meine Träume. Träume, durch die man nun schreiten könne, ohne daß irgendwelche Brotlaibe ihre Mäuler aufrissen und ein Gebiß scharfer, spitzer Zähne offenbarten.
    Das widersprach nun stark meiner eigener Vorstellung Träume betreffend. Ich hatte es bislang für naiv gehalten zu meinen, die besseren Menschen hätten auch die besseren Träume. Aber so hatte es Astri ja auch nicht gesagt, sondern allein einen gewissen Komfort für sich selbst behauptet. Eine geringere Gefahrendichte. Weniger einstürzende Brücken und explodierende Bankkonten. Nicht ständig eine Mutter, die die Beine spreizt und angesichts deren sich in der Folge der Träumende zu Unaussprechlichem versteigt. Keine ausgeweideten Leiber und Rasierklingenspiele. Keine Schoßhunde, die sich in ein Wesen aus einem Roman von Dean Koontz verwandeln, und ähnliches. Astris Anspruch bezog sich nicht auf eine reine Idylle, auf eine quasi umgekehrte Verdrängung, bei der das Unterbewußtsein alles Häßliche aussonderte, sondern … nun, man könnte es als Normalität bezeichnen, eine Welt des Gleichmaßes. Eine Welt, in der Brotlaibe auch mal alt und hart oder verschimmelt sein konnten, ohne darum spitzzahnige Dämonen zu beherbergen.
    Träume ohne Extreme.
    Ja, aber war Astri nicht genau das gewesen, zumindest in einer Sache: nämlich extrem?
    Ich fragte sie: »Kletterst du noch?«
    »Du meinst auf Bergen.«
    »Oder auf Kirchen oder Hochhäusern oder worauf die Leute im Leben und im Traum sonst noch herumkraxeln.«
    »Ja, es gibt solche Träume, aber man muß schon sagen, es wird dort selten glücklich geklettert.«
    Wie sollte ich das verstehen? Daß, wenn dem Träumenden ein Mißgeschick zustieß, es damit auch Astri zustieß?
    »Das nicht«, sagte sie, »aber es geht um die Atmosphäre. Es tut nicht gut, in einer Welt zum Bergsteigen zu gehen, wo alle um dich herum abstürzen, ein ums andere Mal. Wie Blätter im Herbst. Viele Bergsteiger träumen durchaus gute Dinge, von der Liebe, von Tieren und Kindern, aber nie vom guten Klettern. Sobald sie träumend in den Fels steigen, geschieht ein Unglück.«
    »Ein Unglück wie das, das dir wirklich zugestoßen ist«, stellte ich fest.
    »Ich kann mich nicht mehr so gut daran erinnern«, erklärte Astri.
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Oja. Es ist sehr verschwommen.«
    »Du wurdest von einem Blitz getroffen, Astri, oder zumindest von einem Blitz aus dem Fels geschleudert.«
    »Ich weiß nicht«, meinte sie mit einem Haarriß in ihrer Stimme, so einer winzig kleinen wunden Stelle im Material, die imstande ist, ganze Flugzeuge zum Absturz zu bringen, »ich weiß nicht, ob das stimmt.«
    »Ja, was denn sonst?«
    »Ich könnte gesprungen sein. Ich könnte auch gestoßen worden sein.«
    Erneut sagte ich: »Das ist nicht dein Ernst.«
    Kerstin hätte sich jetzt sofort beschwert, ich würde mich dauernd wiederholen, aber Astri wirkte nachdenklich und traurig. Sie schien wirklich nicht mehr sagen zu können, was damals geschehen war. Ihr Sterben war ihr ein Rätsel. Gut, es stand ja auch am Anfang des Totseins. Vergleichbar der Geburt und den ersten Monaten eines Lebens, woran sich auch keiner mehr erinnern kann. Für einen Toten war sein Sterben der verschollene Moment.
    Als wäre sie genau das, ein Kind, schmiegte sich Astri jetzt an mich. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ihre warme Stirn ruhte an meinem Hals. Ich begann, sie zu wiegen.
    In das Schweigen und Wiegen hinein fragte ich: »Bist du Lana einmal begegnet?«
    »Wer ist Lana?«
    »Simons

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