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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist. Dem Umstand von Berufen und Lebensorten. Und darum die Leute, die füreinander bestimmt sind, so selten zusammenkommen. Statt dessen heiraten die, die in derselben Firma arbeiten, in derselben Stadt leben, denselben Tanzkurs besuchen.
    Dennoch stellte sich die Frage, wieso es für Lana unmöglich sein sollte, in ihre Heimat zurückzukehren. Ich fragte sie, ob sie so was wie eine Linksradikale oder militante Tierschützerin sei, eine in deutschen Landen Unliebsame.
    »Hirnforschung und Tierschutz?« Sie hob ihre Brauen an. »Wie soll das denn gehen? Außerdem würde ich sagen, wenn schon Verbrechen, wäre doch Steuerflucht naheliegender, oder? Sind das nicht die wahren Terroristen? – Jedenfalls brauchen Sie keine Angst zu haben …«
    »Ich habe keine Angst«, erklärte ich trotzig.
    »Ach!? Auch nicht davor, ich könnte doch noch mein Kleid ausziehen?«
    Richtig, ich hatte nicht vermeiden können, während des Tages des öfteren daran zu denken. Mich zu fragen, was das sei, was sich unter ihrem Kleid verbarg. Denn die pure Scham ob der eigenen Nacktheit konnte es kaum sein. Hing es mit einer Operation zusammen? Einer fehlenden Brust? War es eine Hautkrankheit, die sich auf den Rumpf beschränkte? Brandwunden? Eine obskure Tätowierung? Narben? Schlimme Narben?
    Neugierig war ich schon, sagte aber, daß meine Liebe zu ihr ganz sicher nicht davon abhänge, welches Geheimnis sich unter ihrem Kostüm befinde.
    »Erstaunlich«, fand sie, »wie oft Sie, seitdem wir uns kennen, das Wort Liebe verwendet haben. Ist das immer so bei Ihnen?«
    »Absolut nein! Ich kann mich gar nicht erinnern, es vorher überhaupt mal … weiß auch nicht … vielleicht hab ich es mir ein Leben lang nur für Sie aufgespart.«
    Ja, natürlich, das klang melodramatisch, aber ich meinte es, wie ich es sagte. Ich war vernarrt in diese Konstellation, diesen speziellen Stand der Gestirne. Vernarrt in die Ausschließlichkeit, in das Gefühl, ein Höhepunkt geschehe, der in keiner Weise wiederholt werden könne. Was ja eigentlich deprimierend war, sich einen beträchtlichen Rest von Leben vorzustellen, der nichts Vergleichbares würde bieten können. Viel Kraft, wenig Ziel. Nach dem Gipfel nur noch der Abstieg. Noch dazu angesichts der eigenen Sechsundzwanzigjährigkeit. Doch diese radikale Einsicht betörte mich auch. Und vor allem natürlich die Frau, die sie ausgelöst hatte.
    Daß dies allerdings unsere letzte Nacht sein sollte, empfand ich dann doch als ein Zuviel des Dramatischen.
    Was aber, wenn doch?
    Ich schaute auf meine Uhr.
    »Haben Sie noch was vor?« fragte Lana.
    Ich beugte mich vor und küßte sie.
    Wenig später lagen wir im Bett. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß sie nun doch ihr Kleid ausziehen, mich auf diese Weise prüfen, mich möglicherweise schockieren wollte. Aber Lana behielt auch in dieser Nacht ihr geriffeltes Wollkostüm an. Und bei aller Neugierde entsprach es so viel mehr der wahren Liebe, nicht eingeweiht zu werden. Mittels des Ungeschauten verbunden zu sein. Wie man sagen kann, der Mensch bestehe aus Teilchen, die er gar nicht sieht.
    Auch ist es unmöglich, den Sex, dem wir uns in dieser Nacht zweimal hingaben, näher zu beschreiben. Nicht, weil ich das Geschehene vergaß, überhaupt nicht, eher blieb mir jede Faser davon in Erinnerung, die textilen Fasern und auch die anderen. Aber leider ist es so, daß mir die Begriffe für diesen Sex fehlen. Alle Begriffe, die ich kenne, klingen derb oder lächerlich. Und neue, eigene würde keiner verstehen.
    Als ich am Morgen erwachte, die Augen noch geschlossen, spürte ich ihre Lippen auf meiner Wange. Ich brauchte eine Weile, bis ich meine Augen aufbekam. Wie bei einem Klettverschluß. Als es endlich gelang, sah ich, daß Lana bereits im Türrahmen stand. Sie drehte sich noch einmal um und wünschte mir eine gute Reise. Ich richtete mich auf und meinte: »Bleiben Sie, bitte!«
    »Tut mir leid, auf mich warten ein paar Kopfverletzungen.«
    »Ich bin auch verletzt«, sagte ich.
    Sie schenkte mir einen Augenaufschlag, so, wie ein Fächer die Luft antreibt und mit leichter Verzögerung einen vom Plafond hängenden Faden bewegt. Ja, als der Luftstrom ihres Augenaufschlags mich erzittern ließ, ganz leicht, ein Faden meiner selbst, war Lana bereits gegangen.

6
    Japan lief bestens. Ich konnte mit diesen Leuten ganz gut, mit ihrer Oberflächlichkeit, die man gerne als die pure Form auffaßt. Dieses ganze Haiku- und Ikebana-Theater, auf das die Europäer so

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