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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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abfahren, weil das alles so bedeutend wirkt, bedeutend, aber frei von Anstrengung. Darin besteht die Verlockung: genial zu sein in drei Sätzen. Genau genommen: faul zu sein und genial. Ich weiß schon, den Japanern wird eher der Fleiß als die Faulheit zugestanden und daß sie genau in diesem Punkt den Deutschen so ähnlich seien. Aber bei ihnen kommt das eben irgendwie künstlerischer und weniger mühevoll daher. Als schwebten sie beim Fleißigsein. Vor allem aber begeistert uns, wie sie die Leere handhaben. Indem sie so tun, als wäre was, wo nichts ist.
    Ich saß jetzt in der First-Class-Lounge der Fluggesellschaft, ein Glas Eistee in der Hand, dessen kühle Fläche ich an meine erhitzten Wangen hielt, und war ganz zufrieden mit mir. Die Leute in Köln hatten mir bereits signalisiert, meine »japanische Leistung« zu würdigen und über meinen »Tainaner Fauxpas« den Mantel des Schweigens breiten zu wollen. Fauxpas darum, weil der siebzehn Meter lange Pottwal ja nicht etwa vom Himmel gefallen war, wie manchmal Frösche und Kröten vom Himmel fallen, sondern recht ordnungsgemäß um die Ecke gebogen war, auf diesem Laster, auf dieser Straße. Als er explodierte, hätte ich noch im Bett liegen müssen, schlafend, fickend, egal, zwischen Bettlaken statt auf der Straße. Nicht zu vergessen, ich war der einzige Passant, der ernsthaft verletzt worden war. Geradezu peinlich. Eine Lächerlichkeit, auf diese Weise zu Schaden zu kommen. Weyland-Mitarbeiter erkrankten oder starben im Zuge von Überanstrengung, erlagen Infarkten, waren in einigen Ländern Ziel von Anschlägen, ja, selbst eine Überdosis Kokain besaß bedeutend mehr Charme, als vom Gedärm eines Wals ins Koma versetzt zu werden. Das war, wie an einem Schnupfen zu krepieren. Aber einem Schnupfen, den man sich nicht im Hochgebirge, sondern bei einem Kindergeburtstag geholt hat.
    Ebendarum hatte ich mich besonders ins Zeug legen müssen, um bei den Japanern nicht als Trottel dazustehen. Das waren immerhin Leute, die Wale töteten und nicht umgekehrt.
    Sodann der Rückflug: Tokio–Taipeh . Ein Nachmittagsflug, der sich dank einiger Verspätung in einen Abendflug verwandelt hatte. Wobei man immerhin die Zeit um eine Stunde überholen würde.
    Aber was nützt eine Stunde, wenn das Wetter sich als ungnädig erweist? – Einmal über dem Meer, wurde es unruhig.
    Nicht, daß ich bislang unter Flugangst gelitten hatte. Allerdings war ich zuvor auch noch nie in dieser heftigen Weise verliebt gewesen. Manches kommt. Und manches kommt geballt.
    Es heißt allgemein, Piloten würden Gewitter umfliegen. Heißt es. Nun, der unsere steuerte mitten hinein. Man konnte es durch die Scheiben deutlich sehen. Der Himmel voll von schwarzen Wolkentürmen, in denen Blitze zuckten und für kurze Momente grelles Licht jede Wölbung sichtbar werden ließ.
    Der Kapitän meldete sich auf japanisch, dann auf englisch, was ich erst merkte, als er fast zu Ende gesprochen hatte. Mein Sitznachbar war da etwas aufmerksamer gewesen und erklärte mir, der Pilot habe soeben bekanntgegeben, es bestehe leider kein Raum, dem Gewitter auszuweichen.
    »Kein Raum!?« fuhr ich hoch. »Meine Güte, fliegen wir denn durch ein Wohnzimmer?«
    »Muß ein großes Gewitter sein, eine hohe und breite Front.«
    »Wir sollten umdrehen«, fand ich.
    »Ihr erstes Gewitter?« fragte er, der Mann am Fenster. Siebzigjährig vielleicht. Mit einem Gesicht, als sei er seit zwanzig Jahren durchgehend braungebrannt. Ein Mann, der zu denen gehörte, die schon überall gewesen waren und fast schon alles gesehen hatten und jetzt noch den Rest ihres Lebens im Flugzeug unterwegs waren, um die allerletzten Dschungel, Wüsten und Bordelle dieser Erde aufzusuchen.
    »Nein, nicht mein erstes Gewitter«, antwortete ich, »aber das erste, an dessen Erforschung ich mich beteiligen soll. Worauf ich gerne verzichten würde.«
    »Im Grunde sind die Blitze kein Problem«, sagte er, auf das Prinzip des Faradayschen Käfigs anspielend. »Dumm ist nur, wenn dabei die Antennen draufgehen und die Navigation versagt. Aber statistisch gesehen, gibt es keinen Grund, jetzt nervös …«
    Der Lärm, der in diesem Augenblick losbrach, war wie ein Aufbegehren gegen jegliche Statistik. Ein Gehämmer und Gehaue von allen Seiten, das immer stärker wurde. Wir flogen mitten durch einen Hagelsturm, und nirgends ein Dach, um das Flugzeug eine Weile unterzustellen. Dazu ein ungemeines Geruckel und Geschaukel, Luftlöcher, die mehr aus Loch als aus Luft zu

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