Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
und fand mein Merkheft in der Tasche.
»Danke, dass du das hier mitgebracht hast.«
»Ich hab wohl echt alles vermasselt, oder, Grandpa?«
»Nein«, sagte ich zu ihm. »Alles war schon aus dem Ruder gelaufen, als du dir Pratt geschnappt hast. Jennings wollte dich für die Morde an Kind und Steinblatt anklagen. Ich hätte das Gold sowieso rausrücken müssen, um dich loszueisen.« Mit dem Blut, das ich verloren hatte, war auch der Zorn von mir gewichen.
»Aber ich hab mich nicht so verhalten, wie ich gehofft hatte.«
»Das wird dir eine Lehre sein.«
Er schwieg einen Augenblick, und ich beließ es dabei. Dann sagte ich: »Du dachtest doch, die Schatzsuche sei eine Sinnsuche oder ein Weg, mein Vermächtnis zu bestimmen?«
»Ja«, sagte er. »Aber vielleicht war es ein Fehler, so profanen Dingen Symbolkraft zuzuschreiben.«
»Nein, ich glaube, du hattest Recht. Es gibt einen Grund dafür, dass ich mich auf die Suche nach Heinrich Ziegler begeben habe. Aber es war nicht der Grund, den du vermutet hast. Glaub mir: Ziegler ist der Tod. 1944 trat ich ihm im Regen und Schlamm entgegen, und ich wusste, dass er der Tod war, als ich in seine kalten, unmenschlichen Augen sah. Und ich habe mich wieder auf die Suche gemacht, weil ich diesen Tod jagen musste. Ich musste handeln, ich konnte nicht einfach abwarten, bis er mich fand. Ich musste ihn zur Rechenschaft ziehen für das, wasmir und deiner Großmutter geschieht, für das, was deinem Vater geschehen ist. Ich sah in Heinrich Ziegler niemand anderen als den Reiter auf dem schwarzen Ross, aber als ich ihn schließlich fand, war er ausgelaugt und leer wie der Rest von uns.«
Ich hatte sie gesehen, die traurigen Gestalten, die sich im Altersheim auf ihre bequemen Sofas sinken ließen, ständig maulend wegen verpasster Gelegenheiten und sich wundernd, wie es sein konnte, dass sie an diesem Ort gelandet waren. Hätten wir das kommen sehen, wären wir ihm aus dem Weg gegangen. Als ich 1944 blutend im Schlamm lag, hätte ich die Gelegenheit gehabt, niemals der Stadt in ihre verdorbene Seele schauen zu müssen, niemals Erde auf den Sarg meines Sohnes schütten zu müssen und niemals mit ansehen zu müssen, wie ich und meine teure Rose dahinwelkten. Ich hätte nur aufgeben müssen, aber ich war zu verdammt stur und machte einfach weiter, lebte noch siebzig Jahre. Und wurde dann zu guter Letzt auf meinem eigenen Rasen von einem dämlichen Weichei hinterrücks niedergeschossen.
»Ja«, sagte Tequila. »Aber was ist mit dem Gold?«
»Es ist schon komisch, weißt du. Du sagtest, du hättest nie geglaubt, dass es wirklich existiert. Vielleicht hattest du Recht. Klar, da war eine Kiste mit Goldbarren, aber was immer es gewesen sein mag, das ich unbedingt zu brauchen schien, es befand sich nicht in der Bank. Nach St. Louis sind wir gefahren, um einer Lüge nachzujagen, die wir uns selbst aufgetischt hatten. Aus jenem Tresorgewölbe haben wir nichts als den Tod hervorgeholt.«
»Aber so darf es doch nicht enden: du im Krankenhaus, das Gold weg und Yaels Mörder immer noch in Freiheit.«
»Alle Geschichten haben dasselbe Ende«, sagte ich. »Aber die meisten erzählen wir nicht bis dahin.«
»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute«, sagte Tequila.
»Ein hübscher Gedanke«, sagte ich zu ihm. »Wie schön, wenn er wahr wäre.«
47
Schwitzend und orientierungslos erwachte ich irgendwann nachts in meinem Krankenhausbett. Meine verwundete Körperhälfte pochte, obwohl ich durch den IV-Zugang mit Schmerzmitteln vollgepumpt wurde. Meine Handflächen waren schweißnass, und meine Augen brannten. Ich fühlte mich beobachtet, aber bis auf Tequilas Silhouette auf dem Stuhl am Bett war sonst nichts im Zimmer.
Ich blinzelte. Tequilas Silhouette war breiter und höher, als sie hätte sein sollen.
»’Nabend, Buck«, sagte Randall Jennings’ Stimme. »Tut mir leid, Sie geweckt zu haben.«
»Ich war sowieso wach«, sagte ich. »Was machen Sie denn hier?«
Er rutschte mit seinem Stuhl näher, sodass ich im trüben Licht, das durch die Jalousien hereinfiel, sein Gesicht erkennen konnte.
»Ich hab gehört, Sie hat’s erwischt, und wollte mich erkundigen, wie es Ihnen geht.«
»Sieht schlimmer aus, als es ist«, log ich und deutete auf die Wunde. »Rein und wieder raus. Fleischwunde.«
»In der Stadt, in der Gegend vom CJC, redet man davon, dass der alte Buck Schatz nicht totzukriegen ist.«
»Da bin ich nicht so sicher«, sagte ich. »Zwei Zentimeter nach links,
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