Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
streckte ich mich auf dem Rasen aus. Nachdem es mir gelungen war, in die Horizontale zu gelangen, ohne körperliche Schäden hervorzurufen, konnte ich in aller Ruhe an der Schusswunde verbluten.
    Ich wollte nach Tequila rufen, erinnerte mich aber, dass Scharfschützen der Nazis feindliche Soldaten absichtlich nur verwundeten und sie dann um Hilfe rufend einfach liegen ließen, bis sie jeden töten konnten, der sie zu retten versuchte. Feely konnte durchaus immer noch da draußen lauern. Ich durfte nicht riskieren, dass mein Enkel zu Tode kam; ich könnte einen solchen Verlust nicht noch mal verkraften, nicht einmal während der wenigen Minuten, die ich noch zu leben hatte. Ich hielt die Lippen geschlossen
    Meine Hände wurden taub, und ich griff in die Tasche nachmeinem Merkheft. Es war nicht da. Ich musste es im Haus gelassen haben. Mein Mobiltelefon war aber da. Das hatte ich ganz vergessen. Jetzt drückte ich die Notrufkurzwahl.
    »Neun eins eins«, sagte die Stimme in der Leitung.
    Ich gab ihr meine Adresse und sagte, ich sei angeschossen worden. Dann ließ ich das Telefon auf den Rasen fallen, ohne die Verbindung zu beenden. Wo ich hinging, brauchte ich meine Freiminuten nicht mehr.
    Das Gras unter meinem Körper war weich und frisch, wie es im Frühling war, wie es in meiner Jugend gewesen war, wie es gewesen war, als ich die Aufgabe gewählt hatte, es zu pflegen, und wie es bestimmt blieb, auch wenn ich nicht mehr da sein würde. Was für ein gefühliges Bild, Tequila wüsste es bestimmt zu schätzen: Das Gold fährt auf der Straße davon, während das Blut des alten Mannes zwischen die Grashalme sickert, denen das alles vollkommen gleichgültig ist, und die Erde dreht sich weiter, als sei nichts geschehen. Eine Lektion für meinen Enkel, etwas, wovon auch dieser Professor im Fernsehen gesprochen hatte. Es war kein wirklicher Trost; ich war stinksauer. Aber ich war zu schwach, den Zorn hinauszubrüllen, und schloss meine Augen.
    Die Sirenen habe ich wahrscheinlich gehört, aber von dem, was danach geschah, weiß ich fast nichts.

46
    Als ich aufwachte, fand ich mich an einem dunklen Ort wieder, und mir war heiß. Also nahm ich an, in der Hölle gelandet zu sein. Wie sich herausstellte, war ich jedoch immer noch in Memphis.
    Genauer ausgedrückt, befand ich mich in der geriatrischen Notaufnahme des MED. Als sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten und meine anfängliche Panik abflaute, sah ich die blinkenden Monitore neben meinem Bett und hörte sie piepen. Ich sah den Fernsehschirm, der oben an der Wand angebracht war. Ich konnte das Fenster sehen und die Jalousie davor, die ein wenig Licht hereinließ. Und ich roch Krankenhaus, Urin und Tod. Daraus konnte ich schließen, dass ich nicht viel tauber oder blinder war als zuvor, und im Großen und Ganzen schien auch mein Gehirn noch zu funktionieren.
    Ich widmete mich der sorgfältigen Inventur meiner Selbst, um das Ausmaß des Schadens zu veranschlagen. In meiner Nase steckte eine Sauerstoffsonde, aber in meine Speiseröhre führte kein Schlauch, woraus ich schloss, dass ich höchstens zwei Tage außer Gefecht gewesen war. Ich befand mich im Besitz beider Arme und aller zehn Finger. Ein intravenöser Zugang lag an einer Vene am rechten Handrücken. Dort kribbelte es. Ich hatte auch noch einen Katheter in mir, der ebenfalls kribbelte. Ehrlich, ich hasste Krankenhäuser, ungelogen.
    Meine Füße spürte ich noch, und ich konnte mit den Zehen wackeln. Ich versuchte, ein Bein nach dem anderen zu heben und wieder abzusenken, um zu prüfen, ob ich mir einen Hüftknochengebrochen hatte. Das war eine meiner größten Sorgen, denn wegen meines Alters würde ich einen invasiven chirurgischen Eingriff wie eine Hüftoperation nicht überleben, und daher hätte mich ein solcher Bruch dazu verdammt, den Rest meines Lebens im Rollstuhl zu fristen. Zu meiner Erleichterung ließen sich beide Beine heben, aber als ich das rechte hob, tat mir die Seite derartig weh, dass ich vor Schmerzen schrie, wofür ich mich schämte.
    Mein Gejaule hatte Rose aufgeweckt, die in einem Sessel neben dem Bett geschlafen hatte.
    »Was ist los, Buck?«, fragte sie. Die Sorgenfalten in ihrem Gesicht waren tiefer als gewöhnlich.
    »Ich muss wohl vergessen haben, dass ich angeschossen wurde«, sagte ich zu ihr.
    Ich zog meinen Krankenhauskittel in die Höhe und inspizierte die Wunde: Vorn, rechts von meinem Bauchnabel, waren ungefähr zwanzig Stiche zu sehen, und die hintere Wunde fühlte

Weitere Kostenlose Bücher