Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
herumwuselte.
»Guten Morgen, Buck«, sagte sie, als sie sah, dass ich mich regte. »Wie geht’s dir heute?«
Ich hob meinen Kopf vom Kissen. Es war zwanzig nach sieben. Ich hatte einen ganzen Tag des Nichtstuns vor mir. Und verschlafen.
»Ich hab deinen Anzug rausgelegt.«
»Ich trage keine Anzüge. Wozu sollte ich einen Anzug tragen müssen?«
»Zum Begräbnis von Wallace.«
»Nein, da geh ich nicht hin. Ich hab ihn doch besucht.«
Sie schüttelte den Kopf und lachte leise. Meine Widerspenstigkeit war ihr vertraut. »Du hast ihn zwar im Krankenhaus besucht, aber das heißt nicht, dass du darauf verzichten kannst, hinzugehen und ihm die letzte Ehre zu erweisen.«
»Ja, aber er ist in meiner Anwesenheit gestorben, und deswegen hab ich ihm gleich an Ort und Stelle die letzte Ehre erwiesen. Auch um mir einen späteren Ausflug zu ersparen.« Ich setzte mich auf und kratzte mich unter der Achsel.
»Wir werden hingehen, Buck. Steh auf und zieh deinen Anzug an.«
»Frau, du bringst mich noch ins frühe Grab.«
Aber ich zog mich an. Sie wusste, dass ich mitkommen würde. Das tat ich immer. Ich bestand jedoch darauf, selbst zu fahren.
Vor dem Begräbnis sollte eine Trauerfeier stattfinden, und daher machten wir uns auf den Weg zu Jims Kirche in Collierville.Sie war einer dieser großen neuen Bauten aus riesigen getönten Glasplatten und frisch verputzten weißen Wänden. Auch ein Food Court gehörte dazu, eine Ausgeburt der sogenannten Systemgastronomie, bei der gemeinsame Sitzplätze für verschiedene Restaurants und Imbisse genutzt werden. Insgesamt wirkte der ganze Laden wie ein Einkaufscenter.
Das weiträumige zentrale Auditorium fasste zweitausend Besucher, die Sitzreihen waren wie in einem Kino angeordnet, und sonntags versammelten sich derartige Menschenmassen, dass die Kirche dienstfreie Hilfssheriffs anheuerte, um den Verkehr auf den Parkplätzen zu regeln. Als wir zur Trauerfeier eintrafen, waren der Parkplatz und der Altarraum jedoch ziemlich leer. Man hatte keine jungen Trauergäste als Sargträger auftreiben können, sodass Jim von ein paar Mexikanern getragen wurde, die im Auftrag der Kirche die Hecken stutzten und das Fußballfeld mähten. Jim hatte lange genug gelebt, um die meisten Menschen, die er liebte, unter die Erde zu bringen, und alle anderen hatten ihn vergessen.
Der Sarg, in den sie ihn gelegt hatten, sah unfertig aus und nicht sehr stabil. Als ob plötzlich ein Arm durchs Holz brechen könnte, wenn jemand die Kiste zu sehr rüttelte. Ein, zwei Kränze hatte man gespendet, aber die Blumen waren spärlich und anämisch. Jemand hatte ein altes Foto des Toten bei Kinko’s vergrößern lassen, um es neben dem Sarg aufzustellen. Sie hatten es in Schwarzweiß abgezogen und auf billige Pappe kaschiert. Welchen Schatz er auch von Heinrich Ziegler angenommen haben mochte: Hier wurde deutlich, dass Jim nichts übrig geblieben war als seine Schuld, als er schließlich starb. Seine furchtbare Sünde hatte ihm am Ende nur Kummer und Gram beschert.
Ich hatte ihm nicht vergeben können, als ich ihn im Krankenhaus dahinsiechen sah, aber als ich jetzt in der leeren Kirche den erbarmungswürdigen Sarg betrachtete, regte sich ein wenig Mitleid. Wir traten hinauf auf das Podest und stellten uns zuihm. »Von mir aus sind wir quitt«, flüsterte ich dem Sarg zu, als sei es jetzt noch von Bedeutung. Rose drückte meinen Arm.
Emily und Norris saßen in der ersten Reihe direkt vor dem Podest, sodass sich meine Hoffnung, ihnen zu entgehen, nicht erfüllte. Emily war in Schwarz gekleidet und weinte. Norris trug ein rosa Hemd und dazu einen blauen Schlips. Er sah aus wie ein Osterei. Zum Anlass der Beerdigung hatte er seinen Schwabbelbauch in die gürtellose Hose gestopft und auch noch versucht, ein paar flaumige Haarsträhnen quer über seinen blanken Schädel zu kleben. Er hatte sich zudem eine frische Maniküre gegönnt. Rose umarmte Emily, obwohl sie sich eben erst kennengelernt hatten, und daher konnte ich nicht umhin, Norris die Hand zu schütteln.
»Sie sind so freundlich zu Jim gewesen, und es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie hergekommen sind«, sagte er.
»Es ist nur, was es ist.«
»Emily und ich möchten Sie und Rose zum Abendessen bei uns einladen. Vielleicht Ende der Woche?«
»Ja, das ist sehr nett von Ihnen, aber wir werden leider der Einladung nicht folgen können.« Der Gedanke, Speisen zu mir zu nehmen, die von diesen Fingern berührt worden waren, drehte mir den Magen um.
Er fuhr mit
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