Der Altman-Code
Empfangsdame die Augenbrauen hoch. Sie studierte die Unterschrift des Surgeon General und blickte auf. »Tut mir Leid, aber Mr. Aguinaldo ist nicht hier und kann Sie deshalb nicht empfangen, Sir.
Aber vielleicht kann Ihnen Mr. McDermid weiterhelfen.
Er ist Präsident und Vorstandsvorsitzender der Altman Group und der Leiter des Konzerns. Vielleicht möchten Sie ja mit ihm sprechen?«
»McDermid ist hier?«, sagte Smith, als würde er ihn persönlich kennen.
»Er macht gerade seine jährliche Visite«, erklärte sie stolz.
»McDermid tut es auch. Ja, ich spreche auch mit ihm.« Die Frau lächelte wieder und drückte auf einen Knopf der Sprechanlage.
Lawrence Wood betrat das elegante Penthouse-Büro von Ferdinand Aguinaldo, Leiter von Altman Asia.
»Was gibt’s, Lawrence?« Ralph McDermid, der an dem riesigen Schreibtisch saß, reckte sich und gähnte.
»Die Empfangsdame sagt, ein gewisser Dr. Kenneth St.
Germain mit einem Schreiben des US Surgeon General ist hier. Er möchte Aguinaldo sprechen. Er behauptet, Cruyff unten von Donk & LaPierre hat ihn hochgeschickt, und sie will wissen, ob Sie den Mann empfangen wollen, nachdem er so gute Empfehlungen hat.«
»Sagen Sie ihr, in fünfzehn Minuten«, sagte McDermid.
Wood zögerte. »Cruyff kann ihn unmöglich geschickt haben.«
»Ich weiß. Bestellen Sie es ihr einfach. Oder warten Sie – das mache ich selbst.«
»Wie Sie meinen.« Stirnrunzelnd kehrte Wood ins Vorzimmer zurück.
McDermid drückte auf den Knopf der Sprechanlage.
Seine Laune besserte sich. Das unerwartete Auftauchen Jon Smiths ließ die Sache gleich ganz anders aussehen. »Es wäre mir eine Freude, Dr. St. Germain zu begrüßen«, sagte er der Empfangsdame. »Fragen Sie ihn, ob er sich noch fünfzehn Minuten gedulden kann. Dann komme ich runter.« Sie gab ihre übliche kesse Antwort, und er unterbrach die Verbindung und rief seinen Mann fürs Grobe an, Feng Dun. »Wo sind Sie, Feng?«
»Draußen vor dem Eingang.« Wieder einmal fluchte Feng über Cho, den Killer, den er vergangene Nacht auf Smith angesetzt hatte. Es war ihm nicht gelungen, den lästigen Amerikaner unschädlich zu machen, und seine Leiche war nicht früh genug entdeckt worden, um einen Ersatzmann loszuschicken. »Meine Leute haben ihn reingehen sehen. Ist er noch mal zu Donk & LaPierre rauf?«
»Nein. Er ist hier oben im Penthouse. Er will mich sprechen.« »Sie?« Ein Moment der Bestürzung. »Woher weiß er überhaupt, dass Sie in Hongkong sind?«
»Das frage ich mich allerdings auch. Aber besser hätte es gar nicht kommen können. Ich glaube, wir sollten sogar von Glück reden, dass er Ihren Killern entkommen ist. Ich würde gern mehr über die Herkunft dieses seltsamen Herrn Doktor erfahren.« Beijing Major Pan Aitu fand das kleine Büro Niu Jianxings – der legendären Eule – reizvoll. Spartanisch wie eine Mönchszelle, wies es schmucklose Wände, mit Läden versehene Fenster, einen abgetretenen Holzfußboden ohne Teppiche, einen schlichten Studentenschreibtisch, einen Schreibtischstuhl für den hohen Herrn selbst und zwei Holzstühle für Besucher auf. Außerdem waren Schreibtisch und Fußboden übersät mit unordentlichen Akten-und Dokumentenstapeln, Aschenbechern voll stinkender Stummel der englischen Zigaretten, die Nius einziger Luxus waren, benutzten Teetassen, schmutzigen Papptellern und anderen Abfällen, die darauf hindeuteten, dass Nius Tage lang und arbeitsreich waren. Es war ein Widerspruch, der das Wesen des Mannes selbst widerspiegelte.
Als langjähriger Geheimdienstagent war Major Pan ein versierter Deuter des verschlungenen Labyrinths individueller Psychen, und deshalb kam er voll auf seine Kosten, als Meister Niu mit dem Studium des Berichts fortfuhr, in den er bei Pans Ankunft vertieft gewesen war.
Das einzige Geräusch kam von den Seiten, die Niu umblätterte.
Major Pan fand, das Büro spiegelte sowohl die Gelassenheit des einsamen Denkers wider als auch das verzettelte Chaos des Mannes der Tat, verschmolzen in einer einzigen Person. Ja, in der Eule schlugen wieder jene gro
ßen Männer durch, die die Revolution eingeleitet und angeführt hatten. Dichter und Lehrer, die Generäle geworden waren. Denker, die sich durch die Notwendigkeiten der Geschichte gezwungen gesehen hatten, Gewalt anzuwenden und zu töten. Pan hatte nur einen dieser Ehrwürdigen gekannt – Deng Xiaoping selbst, in extrem hohem Alter. Deng war in den idealistischen Jahren zwischen dem Massaker von Shanghai und dem Langen Marsch
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