Der Altman-Code
sehr früh, in Haft.« Thayer schien in sich zusammenzufallen. »Ich nehme mal an, er wurde das Opfer ganz ähnlicher Umstände wie ich. Sie konnten einfach nicht glauben, dass er tatsächlich nichts anderes war, als er zu sein schien. Das kommt dabei heraus, wenn Paranoia die Köpfe der Herrschenden regiert, wenn politische Verhältnisse herrschen, in denen jeder, der offen seine Meinung sagt, mundtot gemacht wird. Zum Zeitpunkt meiner Festnahme fegte gerade die kommunistische Revolution über China hinweg. Es herrschte ein solches Chaos … ständig wechselnde Kommandeure, ständig neue zivilrechtliche Bestimmungen, verwirrende Proklamationen und Bürokraten, die keine Ahnung hatten, was eigentlich vor sich ging. Und ich bin einfach unter die Räder dieser gigantischen Maschinerie geraten. Bis Zhongnanhai seine Macht gefestigt hatte, war es längst zu spät, mich nach Hause zu schicken, ohne dass es zu internationalen Spannungen gekommen wäre und China das Gesicht verloren hätte.« Er drehte die warme Tasse in seinen knotigen Fingern. »Und deshalb wollen sie mich auch weiterhin hier behalten. Bis ich sterbe.«
»Nein«, sagte Chiavelli bestimmt. »Was Wallenberg passiert ist, wird Ihnen nicht passieren. Sie werden nicht in Gefangenschaft sterben. Wenn das Abkommen unterzeichnet ist, wird China alle politischen Gefangenen freilassen. Der Präsident wird Niu Jianxing und die restlichen Mitglieder des Ständigen Ausschusses ausdrücklich auf Ihr Schicksal hinweisen. Ich habe gehört, Niu wird die Eule genannt, weil er sehr weise ist.« David Thayer schüttelte den Kopf. »Nein, Captain Chiavelli. Wenn dieses Abkommen vom Generalsekretär und von meinem Sohn unterzeichnet wird, werde ich der Einfachheit halber erneut ›verloren‹ gehen. Macht mein Sohn dann zu viel Druck und bringt so spät noch einmal zur Sprache, was mit mir geschehen ist, werden die Chinesen erst recht dafür sorgen, dass ich in der Versenkung verschwinde. Es werden sich Hunderte alter Männer melden und behaupten, sie seien vor fünfzig Jahren Zeuge meines Todes geworden. Sie werden alle möglichen Beweise vorlegen. Wahrscheinlich Bilder meines Grabes, das inzwischen leider an irgendeinem neuen Staudamm tief unter Wasser liegt.« Er hob resigniert die Schultern.
Chiavelli sah ihn forschend an. Der Covert-One-Agent war ein ehemaliger Captain der Special Forces, der in Somalia und im Sudan gedient hatte und vor kurzem in den Tälern, Höhlen und Bergen Ost-und Nordafghanistans zum Einsatz gekommen war. Sein jüngster Auftrag war David Thaye. Und seine erste Frage war gewesen, ob Thayer überhaupt herausgeschafft werden könnte.
Er hatte die unmittelbare Umgebung des Lagers studiert und war zu einer recht positiven Einschätzung der Lage gelangt. Das Gebiet, in dem es lag, war hinreichend ländlich und abgelegen, wenn auch nicht dünn besiedelt – keine Region Chinas außer Xinjiang, Gansu und der Mongolei war dünn besiedelt. Außerhalb Chongqings waren die Straßen schlecht, die militärischen Einrichtungen weit verstreut und die Flugplätze primitiv; zudem kam seinem Auftrag sehr entgegen, dass es außer in Dazu so gut wie keine gab.
Die Wachen des Lagers waren zwar gut bewaffnet, aber es fehlte ihnen an Disziplin. Bei einem schwer bewaffneten und gut geplanten Blitzüberfall war mit minimalem Widerstand zu rechnen. Mit einer gewissen Portion Glück und etwas Hilfe seitens einiger Lagerinsassen, deren er sich zu versichern vorhatte, konnte ein erfahrenes Spezialteam in zehn Minuten rein und wieder raus, in zwanzig Minuten in der Luft und auf halbem Weg zur Grenze sein, bevor eine ernst zu nehmende militärische Einsatztruppe zusammengestellt werden könnte.
Die entscheidende Frage war jetzt nur noch Thayers Belastbarkeit. Bisher hatte er einen recht guten Eindruck auf Chiavelli gemacht. Trotz seines Alters schien Thayer in passabler Verfassung zu sein.
»Wie ist Ihr allgemeiner Gesundheitszustand, Dr. Thayer?«
»Den Umständen entsprechend gut. Die üblichen Zipperlein, Schmerzen und Beschwerden. Bäume werde ich zwar keine mehr ausreißen und auch nicht mehr den Mount Everest besteigen, aber die Lagerleitung sorgt dafür, dass wir gut in Form sind. Schließlich gibt es hier Felder zu bestellen.«
»Gymnastik, Joggen, Walking, Hanteltraining?«
»Morgen-und Abendgymnastik und Joggen, wenn das Wetter gut ist. Falls nicht, etwas Gymnastik in den Baracken. Der Kommandant weiß schon dafür zu sorgen, dass alle beschäftigt sind, wenn wir
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