Der Amboss der Sterne
Jennifer. »Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis.«
»Oh!« sagte Martin.
»Hübsch, nicht wahr?« fragte Thorkild.
Martin schloß die Augen und schüttelte den Kopf.
Danach saß Martin allein in einem leeren Raum, beschäftigte sich mit Muttimathe, konnte sich aber nicht darauf konzentrieren. Statt dessen dachte er daran, wie sehr sich die Mitglieder der Crew in nur wenigen Monaten verändert hatte. Sie verhielten sich wie Passagiere, die auf einer Kreuzfahrt ins Blaue harte Zeiten durchmachten, oder wie Studenten in einer besonders nachlässigen Hochschule unter einem Chef, der trübseliger war, als ihnen gut tat.
Er sehnte sich danach, den Zeitablauf zu beschleunigen, damit das Rendezvous einträte und irgend etwas geschehen würde, das bedeutsam wäre und nicht theoretisch.
Rosas Geschichten wurden besser. Die Rennen wurden abgeschlossen, indem Hans selbst gegen den schnellsten aus drei Läufen im Inneren des Schiffs vom Bug bis zum Heck, Rex Live Oak, antrat und um zwei Sekunden gewann. Hans war über den Sieg außerordentlich stolz und nahm zwei Wendys in seine Koje mit nach einer privaten Runde gratis für alle. Das waren die ersten Partner, die er gehabt hatte, seit er Boss geworden war.
Martin nahm nicht zur Kenntnis, wer diese Wendys waren. Er war der ständigen Abhängigkeit von Klatsch zwecks Aufregung überdrüssig. Es war ihm gleich, mit wem Hans schmuste, oder ob Hans Harpals Liebesinteresse gestohlen hatte, oder wer sich bald als nächster an Rosa heranmachen würde.
Rosa, um fünf Kilo leichter, mit zugleich ernstem und fröhlichem Gesicht, wurde für Martin jetzt die interessanteste und zugleich beunruhigendste Person an Bord der Dämmerungsgleiter.
Martin kam in den Bugraum, als er leer war, und schaltete die Sternsphäre aus, um das äußere Universum ohne Interpretation zu betrachten. Die Sterne voraus hatten sich noch nicht merklich verändert. Hell und für immer eingefroren vor maßlos schwarzem Hintergrund.
Jennifers Theorien hatten ihn sehr tief erregt. Er hatte von Feinden geträumt, die sie nicht sehen konnten, boshaften Wesen, die sie aus der Ferne verwirrten und pervertierten wie Puppenspieler.
»Was, zum Teufel, tun wir hier eigentlich?« fragte er sich. Er war in den Bugraum gegangen, um zu beten. Aber er konnte sich nicht irgend jemand oder irgend etwas vorstellen, zu dem er beten könnte. Nichts berührte ihn, nichts fühlte ihn oder wußte, daß er sich im Bug befand, daß er allein war. Nichts und niemand wußte, daß er verwirrt war und Hilfe brauchte, daß Martin, der Sohn von Arthur Gordon, jeden Weg verloren hatte, den er jemals kannte, und daß nur die Erledigung des Jobs ein höchst ungenügender Grund war zu leben.
Sein Vater hätte sich diesen Anblick des tiefen Weltraums vielleicht als die eindrucksvollste und schönste Sache, die er sich wünschen könnte, vorgestellt. Martin konnte darin nichts erkennen als gestreutes Licht, das auf erschöpfte Augen traf.
Er hatte nun schon seit vielen Zehntagewochen gegen das Ende dieser Quälereien gekämpft, aber der Kummer nahm seinen natürlichen Verlauf wie eine verheilende Wunde. Endlich würde sogar das Jucken vorbei und Theresa wirklich tot sein – und auch William…
Er seufzte leise; denn er schuldete William so viel mehr, als er emotional geben konnte, jetzt oder jemals.
Wenn der Kummer seine zerfransten Ränder zusammengeknüpft hätte, würde er von nichts mehr definiert werden als dem traurigen Nichts seines Innersten, das finsterer war als jede Schwärze zwischen Sternen, eine behagliche Leere, um hineinzufallen, eine sanfte Negation und Auflösung.
Er dachte, er würde gern sterben, wenn der Tod ein Ende an sich wäre und nichts weiter.
Wozu er dann beten würde, war eine schwache Kerze der Hoffnung, daß es in diesen mächtigen Bereichen wettstreitender Zivilisationen irgendwo etwas gab, das überwachte, urteilte und sympathisierte; das weise war auf eine Art, die er sich nicht vorstellen konnte; das gegebenenfalls vielleicht eingreifen würde, wenn auch nur auf mysteriöse Weise.
Irgend etwas, das in seiner Brust seine toten Geliebten hegte und pflegte, das aber auch seine Unwürdigkeit erkennen und ihm eine Finalität, ein Ende, gestatten würde.
Er dachte an den kraftvollen Orgasmus mit Paola, um viele Grade heftiger, als er mit Theresa erlebt hatte.
Konfusion und Sterne. Was für eine Kombination, dachte er.
Er ermunterte den Kummer, daß er zurückkehren und Depression
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