Der Amboss der Sterne
weiß ich. Aber ist es real?«
Rosa schüttelte den Kopf. »Alexis hält es dafür.«
»Vielleicht ist es das. Ich werde nicht bezweifeln, was meine Kameraden sehen. Du und Alexis. Ihr werdet weiter euren Pflichten nachgehen und an allen Übungen teilnehmen. Wenn ihr dienstfrei habt, könnt ihr Ausschau halten. Euch im Schiff umsehen. Bis zur Abtrennung. Wenn es sich danach nicht mehr sehen läßt, vergessen wir es. Okay?«
»Was ist mit Jeanette und Nancy?«
»Jeanette hat ihre Mutter gesehen«, sagte Martin. »Nancy sah… einen Mann. Sie haben nicht das gesehen, was du gesehen hast.«
»Vielleicht kann es verschiedene Gestalten annehmen… unsere Gedanken lesen.«
Martin überwand seinen Schauder. Das war ein echtes Risiko. Das Geschwür aufstechen – seine Existenz zugeben –, könnte die Infektion zwar austrocknen, es könnte sie aber auch weiter verbreiten.
»Du bist ein Teil von uns; und alles, was dir passiert, ist wichtig.«
»Ich bin ein großes… Ding«, sagte Rosa und streckte ihre Arme mit geballten Fäusten aus. »Ich war schon als Kind groß. Alle haben mich angestarrt und gemieden. Ich dachte, wenn ich hierher käme und den Job machte, würde ich für die Mädchen und Jungen wichtig sein können, die mich ignoriert haben und auf der Erde gestorben sind.«
Martin ergriff eine der Fäuste und versuchte, sie durch Massage zu öffnen. Sie starrte auf seine Hände und ihre Faust, als wären sie körperlos.
»Ich wollte für sie wichtig sein. Als ich auf die Dämmerungsgleiter kam, hat sich nicht viel geändert. Ich merkte, daß es nichts gab, das ich tun könnte, um irgend jemandem zu beweisen, ich sei wichtig.«
»Du bist ein Teil von uns«, sagte Martin. Er zog sie an sich, legte seine Arme um sie, fühlte ihre harten, dicken, fleischigen Schultern, den breiten Brustkasten und kleinen Brüste an seinem Körper, die Stärke, Spannung und warme Haut ihres Halses. Er tätschelte sie, das Kinn auf ihrer Schulter. Er roch sie, streng wie ein großes verängstigtes Tier. »Wir wollen dich nicht verlieren noch sonst jemanden. Tu, um was ich bitte, und wir werden sehen, ob es zu etwas kommt.«
Sie schob ihn mit ihren kräftigen großen Händen von sich und zwinkerte ihm zu. »Das werde ich«, versicherte sie. Sie lächelte wie ein kleines Mädchen. Vielleicht hatte sie seit Jahren niemand in die Arme genommen. Wie konnten nur alle die Kinder eine der ihrigen so ignoriert haben? Als er den Schmerz und die Hoffnung in ihren Augen sah – eine verzweifelte, verlorene Hoffnung –, fragte sich Martin, ob er recht gehandelt und die richtige Art von Einfluß ausgeübt hatte.
So wenig Zeit.
Rosa ging, wieder in ihre alte Stille versunken, und Alexis Baikal kam herein, und danach Jeanette und Nancy. Sie sprachen nicht viel, und er drängte sie nicht. Irgendwie hatte er das Gefühl, die Kette der Ereignisse zerbrochen zu haben, und daß alles jetzt glatter laufen würde. Aber hatte er das Letzte von Rosa geopfert?
Nur noch Stunden. Die Zeit flog schneller vorbei, mehr in Übereinstimmung mit dem äußeren Universum. Eine weitere Trennungsübung verlief ebenso erfolgreich. Auch ein Drill im Freien klappte auf Anhieb. Die Kinder schienen so gut vorbereitet zu sein, wie sie jemals sein könnten.
Stunde um Stunde lieferte Hakims Team immer mehr Information.
Die Zeit des Urteils war gekommen.
Im Schulraum und in Gegenwart der Kriegsmutter gab Martin die Regeln für das Urteil bekannt. Im ersten Jahr hatten Stephanie Wing Feather und Harpal Timechaser die Regeln vorbereitet und dabei versucht, den Widerhall der auf der Arche etablierten Rechtssysteme einzufangen, die auf menschlichen Gesetzen bis zurück zu den Tafeln Hammurabis beruhten…
Durch das Los wurde eine Jury von zwölf Kindern gebildet. Jedes Kind konnte die Ernennung ablehnen, aber das tat niemand. Mit mehr Bedenken als Genugtuung sah Martin, wie Rosa als Jurorin eingeführt wurde und den Eid ablegte, den Stephanie selbst geschrieben hatte.
Ich werde treulich auf Grund der Indizien urteilen; und was ich urteilen werde, wird lauten, ob das Material ausreicht und ob es jenseits eines vernünftigen Zweifels Schuld beweist. Ich werde nicht zulassen, daß Befangenheit, Haß oder Furcht mein Urteil trüben; noch werde ich durch irgendwelche Emotion oder Rhetorik seitens meiner Kameraden schwankend werden. So helfe mir, im Namen von Wahrheit, Gott, der Erinnerung an meine Familie und alles dessen, was mir am teuersten ist, gegen die ewige
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