Der Amboss der Sterne
Regenbogenfarben.
Martin stellte sein Handy auf das Äußere der Schildkröte ein. Die Dämmerungsgleiter hatte sich wie ein Holzklotz unter dem Schlag einer Axt von der dritten Heimkugel an aufgespalten. Das letzte Verbindungsstück – Martin bemerkte die Flexibilität dieser Verbindung, gar nicht metallähnlich – löste sich, und die Hase kam frei.
»Trennung!« fragte Theresa, obwohl die Antwort klar war. Dem Sehen folgte nicht unbedingt der Glaube.
»Das Schiff des Gesetzes besteht jetzt aus zwei Schiffen«, sagte die Kriegsmutter. Sie hatten sich schon ein Dutzend Kilometer von der Hase entfernt, und die Distanz nahm rasch zu.
»Wir haben es geschafft«, sagte Martin.
Die Kinder hockten da und legten vor sich wie Buddhas die Hände zusammen. Martin langte nach Theresas Hand und hielt sie fest. Sie lächelte ihm zu.
Alle sehr mutig. Keine Wahl.
»Packen wir’s an!« sagte Martin.
»Die Abbremsung beginnt in einer Minute«, verkündete die Kriegsmutter.
»Zählen!« rief Andrew Jaguary, und sie zählten, während die Ziffern von Martins Handy vor ihnen in der Luft schimmerten.
Fünf, vier, drei, zwei…
Martin holte tief Luft und schloß die Augen. Wie eine sanfte elektrische Hand, die seinen Körper abtastete, durchdrangen ihn die volumetrischen Felder. Er hörte ganz kurz ein entferntes Winseln im Innenohr, fühlte, wie das Blut in seinen Adern stockte und alles Protoplasma in seinen Zellen aussetzte. Dann strömte das Blut wieder, hielt inne und strömte erneut. Er merkte die vibrierende Sprunghaftigkeit von Feldern, die den Weg eines jeden Moleküls beherrschten und sich an normale Vektoren anpaßten, um die Wirkungen der gewaltigen Verzögerung aufzuheben. Zeitweilig setzten seine Gedanken aus, blockierten seinen Geist mit halb bewußten Impulsen und schleuderten ihn ins Leere.
Er sah nichts mehr. Seine Augen schmerzten, aber er konnte den Schmerz nicht völlig erkennen. Sie würden tagelang in diesem Zustand bleiben, aber zum Glück würden die Felder bald einem Schein von Normalität weichen. Sie würden sehen, sich bewegen, sprechen, essen können – wenn auch nur langsam und vorsichtig.
Wenn alles gut geht. Keine Maschine funktioniert perfekt. Jede Maschine kann versagen.
Die Handys arbeiteten während der Bremsung nicht. Die Kriegsmutter würde inaktiv sein. Sie würden nur noch sich selbst haben in dem kleinen Raum während der Tage, da sie aus dem Gipfel des Universums auf seinen Boden fielen, während sie ihren Impuls in massive Senkgruben abließen… während sie sich leiten ließen wie Tauben im Kopf einer Bombe – bereit, ihre letzten Ziele anzupicken, ihre letzten Urteile zu gurren und denen die Augen auszuhacken, die ihre Eier gefressen hatten, ihre Jungen, ihre Brut.
Theodore kam in den Raum, wo Martin alleine saß.
»Ist es Kummer, daß du so von deinem Feind denkst?«
»O Gott, Theodore! Du fehlst mir. Warum hast du dich umgebracht?«
»Weil wir bloß Tauben sind. Das ist alles.«
»Du hast nie so gesprochen.«
»Martin, ich war nie allwissend. Du hast, wie du weißt, originelle Gedanken, die zum Teil besser sind, als meine jemals waren. Der Tod macht mich bloß größer, und das ist seltsam, denn ich bin jetzt eigentlich sehr klein als Toter. Ein Stäubchen in deinem Geist.«
»Ich hätte dich gern wieder nicht nur in meinen Träumen…«
»Das ist wohl kein Traum. Du bist wach.«
Martin seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir haben das Schlimmste hinter uns; und dies bin ich. Ich schlafe und träume und warte darauf, daß das alles ein Ende nimmt. Langeweile kann uns das antun. Ich denke, wir schlafen jetzt alle, einander überdrüssig und verdrießlich, in einem winzigen Raum zu sein.«
»Du hast doch an Ariel gedacht, nicht wahr?«
»Das nehme ich an… Was kannst du mir über sie sagen?«
»Nichts, was du nicht schon weißt. Das ist der Nachteil, wenn man tot ist. Ich kann nur deine Gedanken spiegeln.«
»Was weiß ich also über sie, das ich nicht erkennen kann?«
»Sie ist zäh, sie behält den Kopf, sie glaubt an sehr wenig, und sie ist zu Großem fähig.«
Liebe…
… für einzelne, für Familie, für Gruppen, für Gefährten, für das Schiff, für die Welt, für die Erde.
Wie kommt man dazu, eine Welt zu lieben? Man ist in sie hineingeboren, von ihr durchtränkt, ist die Welt ein Teil von allem und nicht differenzierbar. Die Dämmerungsgleiter war eine Welt, auf ihre Weise so groß wie ein Menschenleben, voller Plätze zum Leben,
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