Der Amerikaner - The American
Einerseits war er dankbar dafür, andererseits verachtete er sie. Mit welchem Recht genoss er Erfolg, Wohlstand und Privilegien, auf die sonst allenfalls die bevorzugte Schicht der amerikanischen Jugend rechnen konnte? Vor vier Jahren, in einer warmen, stillen Nacht auf Barbados, hatte er jemanden kennen gelernt, der sein Leben ändern und ihm ein neues Ziel geben sollte. Dieses Treffen war keineswegs zufällig zustande gekommen, doch davon sollte er nie etwas erfahren. Bis zu dieser Begegnung hatte er sich nur auf seine Instinkte und seine angeborene Intelligenz verlassen. Es war eine sinnlose Existenz gewesen. Trotz seines Erfolgs hatte er die Gelegenheit begrüßt, sein Leben in den Dienst einer großen Sache zu stellen, und nun war er bereit, dafür das größte Opfer zu bringen.
»Die haben keine Ahnung, worauf sie sich da einlassen«, sagte Kealey leise. Es lag nicht in seiner Natur, anderen seine Meinung aufzudrängen, obwohl er sich in diesem Fall seiner Sache sicher war.
Nur Kharmai hatte seine Worte gehört, und sie schaute ihn an. »Was meinen Sie?«
»Was glauben Sie, wer die benachrichtigt hat?« Er zeigte auf die Reporter.Während Kharmai über die Antwort nachdachte, nahm Kealey Hendricks zur Seite. »Hören Sie, ich bin nicht berechtigt, mich einzumischen … Es ist nur ein Vorschlag, aber ich würde empfehlen, die Absperrung so weit wie möglich nach hinten zu verlegen. Abschütteln können Sie die Reporter sowieso nicht, aber vielleicht verschafft Ihnen das eine Atempause. Außerdem sollten Sie die Fahrzeuge und die Namen ihrer Eigentümer überprüfen lassen.« Er bemerkte Hendricks’ skeptischen Blick. »Ich habe nicht meine ganze Laufbahn in Washington verbracht.«
Hendricks nickte und verschwand, um mit dem Chef der Washingtoner Polizei zu reden. Kealey war dankbar, dass er sich Vorschlägen gegenüber offen zeigte. Damit hatte sich sein erster Eindruck von dem Mann bestätigt. Nach einigen Minuten sah er, dass Agenten Fahrzeuge und Nummernschilder überprüften.
Jemand zupfte ihn am Ärmel.
»Was haben Sie zu Hendricks gesagt?«, fragte Kharmai, die sich eine pechschwarze Locke aus der Stirn strich. Kealey studierte zum ersten Mal aufmerksam ihr Gesicht. Eine perfekte Schönheit war sie nicht, aber man konnte nicht leugnen, dass sie auf ihre Art attraktiv war. Schon durch ihre leuchtend grünen Augen und die makellos karamellfarbene Haut fiel sie überall auf. Ihr Haar und ihre Augenbrauen waren perfekt gepflegt, und ein Blick auf ihre kostspielige Kleidung verriet, dass sie großen Wert auf ihre äußere Erscheinung legte.
Und sie hatte sich Hendricks gegenüber als standhaft erwiesen. Er schätzte selbstbewusste Frauen. Verärgert schüttelte er diese Gedanken ab. Es gab Wichtigeres, worauf er sich jetzt konzentrieren musste. Außerdem hatte Kharmai ihm eine Frage gestellt, an die er sich erst mühsam wieder erinnern musste. »Nur, dass er seine Leute die Fahrzeuge überprüfen lassen soll. Er hört zu, was immer gut ist. Woher kennen Sie ihn?«
»Wir haben schon bei anderer Gelegenheit zusammengearbeitet«, antwortete sie, ohne weiter ins Detail zu gehen.
Kealey bemerkte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem gedankenverlorenen Lächeln verzogen. Hoffentlich hatte sie seinen eingehenden Blick nicht falsch interpretiert. In seinem Leben gab es jetzt schon genug Komplikationen.
Da die Jalousien zugezogen waren, konnte der auf dem gegenüberliegenden Dach postierte Scharfschütze nicht sehen, wie Shakib fast würdevoll durch die luxuriös möblierten Räume schritt, vorbei an all den teuren Kleinigkeiten, die er während seiner Jahre in Amerika erworben hatte. Nichts davon bedeutete ihm noch etwas.
Am hinteren Ende seines großen Wohnzimmers war ein Flachbildschirm von Sony an der Wand befestigt. CNN zeigte Livebilder der Szenerie vor dem Kennedy-Warren-Gebäude. Shakib hatte den Ton des Fernsehers ausgeschaltet, sah aber befriedigt die mobile Einsatzzentrale und die geschäftig umherlaufenden Agenten.
Nachdem die Pläne für die Ermordung Senator Levys geprüft und genehmigt worden waren, hatte der Amerikaner eine Menge Material in Shakibs Dreizimmerwohnung am Cleveland Park gebracht. Als er dem Besucher die teure Renovierung des Gebäudes beschrieben und hinzugefügt hatte, es stehe seit kurzem unter
Denkmalschutz, hatte der Amerikaner zufrieden gelächelt. Dann bat er darum, allein gelassen zu werden, um Grundrisse und Architektenpläne studieren zu können. Shakib ging
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