Der Amerikaner - The American
wütend. Man hatte ihn einer schwierigen und unübersichtlichen Situation ausgesetzt,
und die unerwartete Präsenz der Medien machte die Lage nur komplizierter. Trotzdem hielt Kealey ihn für fähig, unter Druck schnelle Entscheidungen zu treffen.
»Was wissen Sie?«, fragte er.
»Nicht viel. Allerdings haben wir eine Bestätigung, dass er da drin ist. Der Mann an der Rezeption hat ihn gesehen, zwanzig Minuten bevor wir kamen. Bisher haben wir nicht mit ihm verhandelt, und allmählich glaube ich, dass es gar nicht dazu kommen wird. Ich stehe unter Druck, das Gebäude stürmen zu lassen.« Hendricks zeigte in Richtung der Einsatzkräfte. »Ich persönlich würde gern alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor ich grünes Licht gebe. Auch wenn man es ihnen nicht ansieht, meine Jungs sind total genervt. Im Augenblick glaube ich nicht, dass er das Gebäude lebend verlassen wird - es sei denn, er gibt auf. Wenn er sich eine Kugel fängt, werden wir nie erfahren, was er vorhatte.«
Kealey blickte an der Fassade hoch und schaute dann schweigend Hendricks an. Ob Shakib für den Kongress gearbeitet hatte oder nicht, seiner Ansicht nach war es sinnlos, etwas über den Mann im siebten Stock sagen zu wollen, das nicht reine Spekulation war. »Wie sind Sie auf Shakib gekommen?«, fragte er.
Hendricks richtete den Blick auf den etwas hinter Kharmai stehenden Mann. Kealey war mittelgroß, schlank und muskulös. Er hatte schwarzes, etwas längeres Haar und dunkelgraue Augen, deren fester Blick irritierend wirken konnte.
Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte Luke Hendricks als Befehlshaber einer in Fort Bragg stationierten kleinen Infanterieeinheit der 82nd Airborne Division gedient. Er hatte im Golfkrieg gekämpft und war mit der Soldier’s Medal ausgezeichnet worden, weil er gegen Ende seines Einsatzes zwei junge Soldaten
aus einem Minenfeld gerettet hatte, worüber er aber praktisch nie sprach. Wenn ihm ein ehemaliger Soldat gegenüberstand, erkannte er ihn auf Anhieb.
»Natürlich haben wir uns zuerst um Kongressangestellte ausländischer, speziell iranischer Herkunft gekümmert, doch das hat nicht viel gebracht. Dann kam jemand auf die Idee, Urlaubsgewohnheiten zu überprüfen. Shakib reiste jährlich nach Valencia, flog aber nach ein oder zwei Tagen unter einem anderen Namen nach Bukarest und von dort nach Teheran. Wenn er ein Schläfer war, ist er damit kein großes Risiko eingegangen. Wer weiß, was er im Laufe der Jahre noch alles verraten hat? Wenn diese Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt, werden etliche Köpfe rollen.« Diese Annahme lag auf der Hand, und Hendricks schwieg kurz. »Er weiß, dass wir hier draußen auf ihn warten«, sagte er dann. »Wenn wir auf einer völlig falschen Spur wären, hätte er sich längst freiwillig gestellt. Nein, er ist der richtige Mann.«
»Und Sie konnten diese Geschichte nicht geheim halten?«, fragte Kharmai.
»Ich war nicht die undichte Stelle, falls Sie das andeuten wollen«, antwortete Hendricks gereizt. »Sehr viele Leute hatten Zugang zu dieser Information.«
»Wir nicht«, murmelte Kharmai.
Im siebten Stock kniete Michael Shakib reglos auf einem Gebetsteppich, den Kopf in Richtung Osten geneigt. Obwohl die Pilgerfahrt für Muslime obligatorisch und die Fünfte Säule seiner Religion war, hatte er Mekka nie gesehen. Und würde es auch nie sehen.
Shakib war äußerlich unverkennbar arabischer Herkunft. Geboren worden war er in der iranischen Stadt Qum, doch seine
Eltern hatten es ungeachtet aller Schwierigkeiten nach der Islamischen Revolution geschafft, das Land zu verlassen und 1979 nach Amerika auszuwandern, wo sie sich in Kalifornien niederließen. In seiner neuen Heimat musste er die ganze Zeit über miterleben, dass dem Islam mit Vorurteilen und Feindseligkeit begegnet wurde, aber er hatte nie in Betracht gezogen, seine Religion aufzugeben. Er war sich schmerzlich der Tatsache bewusst, dass allein sein Äußeres jeden Tag argwöhnische Blicke hervorrief. Zum Teil war das aber Einbildung, denn Michael Shakib war durchaus ein attraktiver Mann.
Am auffälligsten waren seine grünen Augen mit den braunen Sprenkeln und seine makellos olivfarbene Haut. Das schwarze Haar stand in einem scharfen Kontrast zu den gepflegten, strahlend weißen Zähnen, wie man sie in dem Elendsviertel, aus dem er stammte, kaum je sah.
In gewissen Momenten gestand er sich ein, dass er Privilegien genoss, die vielen seiner Landsleute in Amerika verweigert bleiben würden.
Weitere Kostenlose Bücher