Der Amerikaner - The American
zuschlagen. »Und der Zoll hat seine Arbeit schon getan, hab ich gehört?« Er versuchte, die Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen, beobachtete Walkers Reaktion aber genau.
»Ja, meistens machen sie nur Stichproben.«
»Dann haben sie die Kisten also nicht geöffnet.« Vielleicht lügt sie. Wenn ja, leg sie um. Hast du das Messer? Er tastete unfreiwillig nach seinem Gürtel. Ja, es ist da. Benutze es. Jetzt, sofort.
Sie schüttelte den Kopf. Wie er, wenn auch aus anderen Gründen. »In letzter Zeit geht hier alles drunter und drüber, die ganzen Terrorwarnungen … Auf allen Kais wimmelt’s nur so von Zollbeamten und Typen von der Hafenbehörde. Die Leute machen mehr Probleme, als sie lösen, wenn Sie mich fragen. Trotzdem, uns lassen sie halbwegs in Frieden. Sie kümmern sich eher um die Bulkladungen und die offenen Container an Pier 2. Die Behörden haben einfach keine Zeit, sich alles anzusehen, was unseren kleinen Lagerplatz verlässt.«
Auf Vanderveen wirkte sie aufrichtig. Er war erleichtert und nickte beifällig. »Schon richtig, die Jungs machen nichts als Ärger. Glauben Sie, ich kann mit meinem Lieferwagen vorfahren,
um den Krempel abzuholen, Miss Walker? Wird höchstens zwanzig Minuten dauern.«
Sie schien zu zögern. »Ich weiß nicht … Es ist gegen die Vorschriften.«
Vanderveen lächelte. »Ach, kommen Sie. Glauben Sie, ich sehe nicht, wer hier die Hosen anhat? Alles tanzt nach Ihrer Pfeife, stimmt’s? Die Vorschriften machen Sie, also können Sie ruhig mal dagegen verstoßen …«
Sie errötete leicht und berührte seinen Arm. »Ein Charmeur sind Sie, das muss man Ihnen lassen. Also gut, holen Sie Ihren Lieferwagen. Aber mehr als zwanzig Minuten sind nicht drin, okay?«
»Ich mach das alte Rein-raus-Spielchen so schnell, das kriegen Sie gar nicht mit.«
Seine Wortwahl ließ sie kichern wie eine Teenagerin. »Das glaube ich nicht, Mr Nichols.« Mittlerweile war ihr Gesicht dunkelrot. »Wirklich, das bezweifle ich.«
Fünfundzwanzig Minuten später hatte Vanderveen die Schranke hinter sich gelassen, und in der Halterung am Armaturenbrett steckte eine eiskalte Dose Coca-Cola, ein Abschiedsgeschenk der errötenden Bobbie Walker. Nach kurzer Zeit bog er lächelnd nach rechts ab. Auf der Ladefläche des gemieteten Lieferwagens befanden sich über tausenddreihundertsechzig Kilogramm Semtex H.
Noch acht Tage. Dann würde auf dieser Welt nichts mehr so sein wie zuvor.
David Brenneman beobachtete durch die Fenster des Blauen Zimmers, wie ein sanfter Regen auf den Rasen vor dem Weißen Haus niederging. Er saß auf einem schlichten Stuhl und trank
aus einer dünnwandigen Porzellantasse Kaffee. Endlich einmal war er allein, und er nutzte die Zeit, um die Schönheit seiner Umgebung zu genießen.
Der Präsident wusste, dass viele seiner Vorgänger dieser Umgebung überdrüssig geworden waren und ihren Amtssitz eher für ein Museum als ein Zuhause gehalten hatten, aber für ihn war das Ambiente immer faszinierender geworden. Im Blauen Zimmer, aus dem man einen so spektakulären Blick auf den Garten hatte, hielt er sich mit Abstand am liebsten auf, in diesem großen, ovalen Raum mit dem königsblauen Teppich, dem 1817 von James Monroe erstandenen Marmortisch und dem kunstvollen französischen Kronleuchter aus dem frühen 19. Jahrhundert. Wenn er die Augen schloss, hörte er nur das Geräusch des Regens, der an die kugelsicheren Scheiben schlug.
Aber die erholsame Atempause war nur kurz, denn er musste umgehend wieder an die brisante Lage denken.
Vor einer Woche hatten die Spezialisten des FBI die Analyse der vor dem Kennedy-Warren-Gebäude gefundenen Sprengstoffreste abgeschlossen und sie als Semtex H klassifiziert. Wenn sich dieses Ergebnis mit dem eines unabhängigen Labors deckte, war der aus der Tschechischen Republik stammende Sprengstoff ins Land geschmuggelt worden, und damit stand in erster Linie der Zoll am Pranger.
Aber natürlich blieb auch immer etwas an dem Mann ganz an der Spitze hängen. Seine Umfrageergebnisse waren innerhalb einer Woche um sechs Punkte gefallen, und angeblich hatte der neue Mehrheitsführer im Senat schon hinter vorgehaltener Hand darüber geredet, dem Amtsinhaber im bevorstehenden Wahljahr die Unterstützung zu entziehen. Brenneman hielt die Gerüchte für glaubwürdig und war überrascht und wütend angesichts
des Tempos, mit dem seine Partei die Hoffnung auf seine Wiederwahl verloren hatte.
Ein an der Tür postierter Agent des Secret Service
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