Der amerikanische Architekt
Mein Bruder Patrick hätte sich für mich geschämt, und ich wäre froh, ich könnte mich auch bei ihm entschuldigen.« Er hatte den Namen seines Bruders Hunderte, vielleicht Tausende Male ausgesprochen, seit Patrick tot war – »Du redest jetzt, wo er nicht mehr da ist, mehr über ihn als du mit ihm geredet hast, als er noch lebte«, hatte seine Mutter ihm einmal vorgeworfen –, aber ihn dieses Mal zu nennen, schien, endlich, die Last jenes letzten betrunkenen Abends von ihm zu nehmen.
Fast auf der Stelle landete eine neue Last auf ihm. Vielleicht war es Patricks Name, der Sean im Geist ins Wohnzimmer seiner Eltern versetzte, wohin er jetzt, da er keine andere Bleibe mehr hatte, zurückkehren würde. Er sah sich in ihrem Fernseher, eingerahmt von Muslimen, und versuchte zu rekonstruieren, wie er hierher gekommen war, auf die andere Seite. Vor allem aber mühte er sich, wieder zurückzufinden. »Aber Patrick ist gestorben, weil er versuchte, Menschen vor islamischen Terroristen zu retten«, sprach er weiter. »Und wir werden uns niemals dafür entschuldigen, dass wir in Verbindung mit dieser Gedenkstätte nichts Islamisches haben wollen – weder eine Person, noch einen Entwurf. Das ist nicht persönlich gemeint und hat nichts mit Vorurteilen zu tun. Es ist einfach nur eine Tatsache.«
Begeisterung blitzte in den Augen der Reporter auf. Empörung in denen von Malik. Unruhe breitete sich aus, als Reporter ihre Haltung veränderten, Stühle rückten. Sean hörte laute Rufe und spürte, wie grobe, unversöhnliche Hände ihn durch die Tür stießen, als habe man doch eine Bombe bei ihm entdeckt. Die Sporttasche wurde ihm nachgeworfen. Die ganze Zeit über war er in Gedanken bei seinen Eltern. Erst als er später bei ihnen zu Hause saß und sich die Aufzeichnung im Fernsehen anschaute, sah er den Schmerz in Zahira Hussains Gesicht.
16
U m drei Uhr wurde Mo wach und griff im Dunkeln nach dem Roastbeefsandwich neben seinem Bett. Er kaute, trank Wasser und versuchte, wieder einzuschlafen. Nach ein paar weiteren unruhigen Stunden wurde er erneut wach und zog sich an, um zur Arbeit zu gehen. Nur noch zwölf Stunden, bis er das nächste Mal essen oder trinken konnte.
Er fastete nun schon seit fünf Tagen. Er war nur ein Sandkorn, nur einer von Hunderten von Millionen von Muslimen, die den Ramadan einhielten – kein Essen, kein Trinken, kein Sex zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, einen Monat lang. Er verwandelte die Zeit in ein Gebäude, das sich von sichelförmigem Mond zu sichelförmigem Mond erstreckte, machte jeden Tag zu einem Zimmer, das von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang reichte. Die Mahlzeit vor Sonnenaufgang war eine Schwelle, und während der enthaltsamen Stunden war sein Mund eine verschlossene Tür. Das waren die Hilfskonstruktionen eines Architekten. In Wahrheit wusste er nicht, wieso er fastete, wieso seine erste Handlung an jedem Tag nun Enthaltsamkeit hieß, und diese Unsicherheit erzeugte viele andere Unsicherheiten, von denen sie gleichzeitig herrührte: Unsicherheit, ob es richtig war, an seiner Gedenkstätte festzuhalten, egal um welchen Preis, oder sich zu weigern, eine Erklärung dazu abzugeben. Er war nicht verantwortlich für die abgerissenen Kopftücher. Seine Position war ein unbeweglicher Gegenstand, der alles um ihn herum in Bewegung versetzte. Er fragte sich, welches Urteil der Gott, an den er nicht glaubte, über ihn fällen würde.
Noch nie hatte er sich zittriger gefühlt. Diese Kundgebung, der Hass, der von ihr ausgegangen war, strahlte eine Hitze aus, die so intensiv war, als stünde er direkt neben dem Mann, der sein Foto angezündet hatte. Mo hatte die kriegerische, weinerliche neue Religion, die die Anschläge hervorgebracht hatten, schon lange satt, hasste die Fundamentalisten, die sie am Leben hielten, indem sie den Tag als heilig erklärten, den Ort als heilig erklärten, die Opfer, die Gefühle der Überlebenden – so viel Heiligkeit. Und kein Ende der Gottlosigkeiten abzusehen, die dafür in Kauf genommen wurden. Aber er fragte sich auch, ob die Tatsache, dass er kein praktizierender Anhänger dieser Religion war, ihn zu einem Architekten machte, der nicht dazu geeignet war, ihren Tempel zu errichten. Die Gedenkstätte zu errichten.
Er war wütend, weil Paul Rubin nicht aufhörte, ihn zum Aufgeben bewegen zu wollen, über die Art und Weise, wie die Gouverneurin die Jury ständig attackierte, wütend auf die Jury, die garantiert einknicken würde. Aber vor
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