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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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ein bisschen nervös«, kam es von Malik. »Die allgemeine Stimmung ist ziemlich angespannt. Es liegt Gewalt in der Luft, und daran sind zum Teil Sie Schuld. Wir wissen kaum etwas über Sie, außer dass Sie eine Kundgebung organisiert haben, auf der Todesdrohungen ausgesprochen wurden, und dass Sie einer Frau das Tuch vom Kopf gerissen haben. Woher sollen wir wissen, wozu Sie sonst noch alles fähig sind?«
    Ich bin zu überhaupt nichts fähig, dachte Sean, zog seine Brieftasche hervor, wobei ein paar Zettel auf den Boden flatterten, und entnahm ihr ein kleines Foto von Patrick in seiner Paradeuniform. Er hielt es hoch. Alle versuchten, es zu erkennen. »Das hier ist mein Bruder. Mein Bruder, der gestorben ist. Der umgebracht wurde. Von Muslimen. Mein Gott! Wieso ist es bloß so schwer, das Richtige zu tun?«
    »Es tut mir leid«, sagte eine der Frauen. Sean sah sie an. Bei einer Gegenüberstellung hätte er ihr Gesicht nicht wiedererkannt, aber er kannte das rote Tuch. Zu oft hatte er gesehen, wie seine eigene Hand danach griff. Es konnte kein Zufall sein, dass sie es heute trug.
    »Haben Sie nur das eine Tuch?«, fragte er.
    »Wie bitte?«
    »Neulich haben Sie dasselbe Tuch getragen. Meinen Sie vielleicht, ich bin ein Bulle? Meinen Sie, dass ich bei seinem Anblick wieder ausraste?«
    »Mir war nicht klar –«
    »Haben Sie eben gesagt, dass es Ihnen leidtut? Was tut Ihnen leid. Ich bin derjenige, dem es leidtun soll, wissen Sie nicht mehr? Bin ich nicht deswegen hier? Damit Sie alle mich demütigen können, mich dazu zwingen können, einen Kniefall zu tun und Ihren Ring zu küssen oder was auch immer?«
    »Niemand hat Sie gezwungen zu kommen«, sagte sie mit sanfter Stimme. Ihr Gesicht war rund wie ein Kürbis, ihre Augen groß, haselnussbraun, lang und dunkel bewimpert. »Niemand zwingt Sie zu bleiben.« Sie redete mit ihm, als sei er ein Mann auf einer hohen Brüstung; es überraschte ihn, dass es ihm nichts ausmachte. Er bückte sich, um seine Sachen in die Tasche zurückzustopfen, und überlegte sich dabei, was er als Nächstes tun sollte. Sein Gesicht war knallrot – er brauchte keinen Spiegel, um das zu wissen.
    »Ich möchte unter vier Augen mit Ihnen reden«, sagte er zu Zahira. »Ohne die vielen Leute.«
    »Das wäre nicht angemessen«, sagte Malik.
    »Wie das?«
    »Unsere Religion glaubt an einen zurückhaltenden Umgang der Geschlechter. Außerdem wurde sie öffentlich gedemütigt, also muss die Entschuldigung auch öffentlich sein.«
    »Unter vier Augen«, wiederholte Sean.
    »Unmögl –«, fing Malik an.
    »Gehen wir da rein«, sagte Zahira und deutete auf Maliks Büro. »Wir lassen die Tür auf.«
    Ohne auf Maliks Einwände zu achten, nahmen Sean und Zahira sein Büro in Besitz. Ein Schreibtisch, monumental genug, um ihren guten Ruf zu wahren, beherrschte den Raum. Zahira setzte sich dahinter und legte die gefalteten Hände auf die Platte. Sean nahm auf der anderen Seite Platz. Drei Fernseher liefen. Er versuchte, nicht hinzusehen.
    »Vor einer Entschuldigung hätte ich gern eine Erklärung, Sean«, sagte sie. Seit ihren ersten Worten hatte er versucht zu ergründen, was an ihrer Aussprache so seltsam war. Jetzt kam er darauf. Sie hatte keinen Akzent. Sie klang genauso amerikanisch wie er selbst. »Wieso haben Sie mir das Tuch abgerissen. Hatten Sie das vorher geplant?«
    »Nein!«, sagte er. »Ihr Schild hat mich wütend gemacht.« Er hörte selbst, wie kindisch das klang, und borgte sich Debbies Ausdrucksweise aus. »Dazu kommt, dass wir in diesem Land Frauen nicht dazu zwingen, ihre Haare zu verbergen.«
    »Nein, wir zwingen Frauen nicht dazu, ihre Haare zu verbergen.« Sie legte die Betonung auf das »wir«. Es schien sie zu amüsieren. »Aber Frauen haben das Recht, sich dafür zu entscheiden, so wie ich es tat. Niemand zwingt mich dazu. Mein eigener Vater ist dagegen, dass ich das Kopftuch trage. Es ist meine eigene Entscheidung«, wiederholte sie. »Niemandes sonst.«
    Seans Blick wanderte zu einem der Fernseher, auf dem zu sehen war, wie er sich durch die draußen versammelte Menge drängte. Er sah angespannt aus, fast ängstlich. Weniger mutig, als er sich gefühlt hatte. Er hatte sich vorgestellt, dieser Augenblick, in dem er beschloss, sich einfach durchzudrängen, sei vergleichbar mit dem, als Patrick in das brennende Gebäude gestürmt war. Jetzt sah er, wie albern diese Vorstellung war. Patrick war tot.
    Auch Zahira beobachtete die Fernseher: Seans Eintreffen, die kreischenden SAFI

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