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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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zurückzuziehen, wird das wahrscheinlich im Gegenzug Angriffe von sogenannten islamistischen Extremisten hervorrufen.«
    »Klingt wie eine Drohung«, sagte Mo. Alle hatten die Hände voller Gläser und Teller. Die Tatsache, dass sie nicht gestikulieren konnten, erlegte ihnen eine merkwürdige, nicht authentische Höflichkeit auf.
    Mo hatte Malik seit dem Tag, an dem die Anzeigenkampagne vorgestellt wurde, nicht mehr gesehen. Der Abscheu, den er an jenem Tag empfunden hatte, machte sich jetzt aufs Neue bemerkbar. Gleichzeitig gab er ihm die Schuld am Bruch zwischen Laila und ihm, was sicherlich unfair war, aber er konnte nichts dagegen tun.
    »Aber es stimmt«, warf die Frau mit dem gelben Kopftuch ein. »Wir müssen allen sagen, dass der Extremismus der Opposition gegen Khan neuen Zündstoff für islamistische Extremisten liefert. Wenn wir es nicht tun, wird man uns die Schuld geben, falls etwas passiert.«
    »Falls etwas passiert, egal aus welcher Ecke, wird er verantwortlich sein«, sagte Tariq und deutete mit dem Finger auf Mo. »Sie werden Blut an den Händen haben.«
    »Das ist einfach empörend!«, rief die Frau mit dem gelben Kopftuch.
    Plötzlich schrien und redeten alle durcheinander, so dass die Worte sich überlagerten, ähnlich wie bei dem komplizierten, irgendwie rätselhaften orientalischen Dip mit mehreren Schichten, den der Küchenchef von Gracie Mansion in einer Glasschale mitten auf dem Tisch platziert hatte. Dazu kam, dass sie sich immer noch Essen in den Mund stopften, weil sie einen ganzen Tag des Fastens ausgleichen und sich auf das Fasten des nächsten Tages vorbereiten mussten, und so wurde das Essen ebenso schnell in Münder hineingestopft, wie die Worte daraus hervorgeschossen kamen. Es war ein unaufhörliches Reden und Schlucken, Reden und Schlucken. Das Essen an sich schien ein Akt des Zorns zu sein.
    Der Bürgermeister, der die Gruppe um Mo erspäht hatte, kam herüber, um sich an der Unterhaltung zu beteiligen, zog sich beim Klang der aufgebrachten Stimmen jedoch hastig wieder zurück. Er schien kaum glauben zu können, dass seine moderaten, gemäßigten Muslime derart heißblütig sein konnten.
    »Wie es aussieht, habe ich dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern«, sagte Mo zu seinem Vater, als er und seine Eltern Gracie Mansion verlassen hatten. Die Selbstsicherheit in seiner Stimme war nur aufgesetzt. Der Streit hatte ihn fassungslos gemacht, entsetzt über den Tumult, den er ausgelöst hatte und der ihn vermuten ließ, dass er zwangsläufig jeden Raum, den er betrat, in Aufruhr versetzen würde.
    »Nein, du hast mich zu gar nichts gebracht«, antwortete Salman. Er klang bedrückt, sogar bitter. »Ich finde immer noch, dass du einen schrecklichen Fehler machst und dass du, selbst wenn du gewinnst, am Ende verlieren wirst. Wir alle werden verlieren. Aber du bist mein Sohn. Ich hatte keine andere Wahl, als dich zu verteidigen.«

17
    I n jedem Garten geschieht mehr, als einem bewusst ist, mehr als man sieht«, sagte Mohammad Khan. »Irgendetwas verändert sich immer, wird verändert, ohne dass wir Einfluss darauf haben.«
    Sie wusste nicht, was er meinte, und streckte die Hand nach ihm aus, um besser zu verstehen. Er legte die Hände auf ihren Kopf, was ihr durch und durch ging, und lenkte ihren Blick auf verrottende Fasern, in sich zusammengerollte Blätter, saugende Blattläuse, Japankäfer, die an Knospen nagten, Spinnmilben, die alles mit weißem Gespinst überzogen, langsam absterbende Eichen … Mit mikroskopischer Wahrnehmung war sie in der Lage, das alles zu sehen.
    »Tod. Alles hat mit Tod zu tun«, sagte sie. »Ohne dass es einen Grund dafür gibt.«
    »Doch, den gibt es.«
    Auf der Suche nach Trost schmiegte sie sich an ihn, diese grünen Augen, diese weichen Lippen …
    Vom Kratzen seines Barts wachte sie auf, dann merkte sie, dass sie allein im Bett lag, zitternd vor Scham und Verwirrung. Ihr Unterbewusstsein, mit dem Auftrag losgeschickt, Mohammad Khans wahres Ich aufzuspüren, hatte stattdessen ans Licht gebracht, dass sie sich insgeheim zu ihm hingezogen fühlte.
    Er hatte ihr den Grund für all dieses Sterben, für Cals Sterben, nicht erklärt. Dabei war die Erklärung so nah gewesen. Sie wollte den Kuss auslöschen und stattdessen die Unterhaltung fortführen. Aber so sehr sie es auch versuchte, sie konnte nicht wieder einschlafen.
    Es war halb sechs. Auf Zehenspitzen schlich sie nach unten und durch die Hintertür in den Garten. Der Himmel war eine gewaltige

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