Der amerikanische Architekt
Beziehung gehabt, bis sie dann Cal kennenlernte. Jack hatte ihr damals vorgeworfen, ihn nur wegen Cals Geld zu verlassen, eine Fehleinschätzung, die es ihr ersparte, ihm zu sagen, dass Cals Art ihr einfach besser gefiel. Nach der Trennung hatten sie jahrelang keinen Kontakt miteinander gehabt, bis sie sich irgendwann, jeweils in Begleitung ihrer Partner, zufällig über den Weg gelaufen waren und sich auf einen etwas unbehaglichen Frieden geeinigt hatten. Nach Cals Tod hatte Jack eine Karte geschickt: »Ich weiß, es ist im Augenblick schwer zu sehen, wie glücklich du dich schätzen kannst, aber anscheinend hast du jenen so seltenen Schatz gefunden, der den meisten von uns versagt bleibt – die wahre Liebe.« Es war das letzte, was sie von ihm gehört hatte – bis jetzt.
Das Geschenk – weniger verwegen als die Karte – war eine Art Miniaturgarten: Kräuter, Süßgras und Klee in einem wunderschönen Pflanzgefäß aus verwittertem Holz. Schlau von ihm, dachte sie, nichts übertrieben Romantisches zu schicken, wenn er nicht wusste, ob sie noch ungebunden war. Trotzdem schien er sich mit den Jahren verändert zu haben. Am College hatten sie sich mehr als einmal darüber gestritten, dass er so gar nichts für die sogenannten »Nettigkeiten« übrig hatte – er vergaß ihren Geburtstag, das Datum, an dem sie sich kennengelernt hatten, sogar den Namen ihrer Schwester. Die einzigen Blumen, die er ihr je schenkte, hatte er in der Nähe des Hauses seiner Eltern in Maine gepflückt.
Auf der Karte stand auch seine Telefonnummer. Sie rief an, um sich zu bedanken. Er fragte, ob er sie zu einem Geburtstagsessen einladen dürfe, und fügte hinzu, ihr Partner, falls sie einen habe, sei natürlich ebenfalls eingeladen.
»Nein, es gibt niemanden. Aber wenn du …«
»Nein. Gut, dann also nur wir beide.«
Das Korsett der Ehe, ihr Trauergewand, platzte urplötzlich auf. Sie fühlte sich fast nackt vor Begehren. Der Sex mit Jack war so unglaublich gewesen, dass sie sich, kaum angezogen, schon das nächste Mal vorstellte – wo, wann, wie –, als sei das Leben dazwischen unbedeutend. Das aufzugeben war das Schwerste gewesen, als sie mit ihm Schluss machte. Mit Cal war der Sex weniger verzehrend und aufregend gewesen; sie hatte sich eingeredet, dass er deswegen intensiver und inniger war.
Der Bürgermeister hatte beschlossen, »zu meinen muslimischen Freunden zu stehen«, wie er es ausdrückte, und erzählte jedem, der es hören wollte, dass er sich das leisten konnte, da er sowieso nicht noch einmal für das Amt kandidieren konnte. »Heißt das, dass du nicht mehr ihr Freund wärst, wenn du noch einmal kandidieren könntest?«, lautete der trockene Kommentar von Thomas, der der einzige war, mit dem Mo auch einmal lachen konnte.
Zusammen mit diversen muslimischen Führungspersönlichkeiten, Honoratioren und Aktivisten wurde Mo zu einem Iftar – dem traditionellen Abendessen, mit dem das Fasten des Tages gebrochen wurde – nach Gracie Mansion geladen. Er lud seine in Virginia lebenden Eltern dazu ein, da er einerseits dachte, diese Einladung bedeute ihnen weit mehr als ihm, und andererseits hoffte, sie würden als Puffer zwischen ihm und den MACC -Mitgliedern fungieren, die sicher auch anwesend sein würden. Mo hatte keinen von ihnen gesehen, seit er aus der Anzeigenkampagne ausgestiegen war, die statt seiner mit Taxifahrern, Lehrern und einem Komiker durchgezogen worden war.
Seine Eltern wussten, dass er zur Zeit nicht in seiner eigenen Wohnung lebte, und er hatte ihnen ein Hotelzimmer besorgt. Jetzt wünschte er sich, er hätte verabredet, sich dort mit ihnen zu treffen. Ihre Schritte hallten durch die leeren Zimmer seiner provisorischen Unterkunft. Ihre Gesichter sahen entsetzt aus.
»Ach du meine Güte, Mo!«, sagte seine Mutter. »Das ist ja …« Sie ging ins Schlafzimmer, kam wieder zurück und setzte sich auf Mos Koffer, der in einer Ecke stand. »Kannst du denn nicht bei einem Freund wohnen? Bei Thomas?« Sie liebte Thomas, Alice und die Kinder der beiden, nicht zuletzt, weil sie der Beweis dafür waren, dass auch ein Architekt eine Familie haben konnte.
»Er hat drei Kinder und nur wenig Platz, das weißt du doch. Außerdem hat diese ganze Sache sie ein bisschen unvorbereitet erwischt.«
»Du hast ihm nicht gesagt, dass du an der Ausschreibung teilnimmst?«
»Können wir vielleicht über etwas anderes reden?« Mo gab sich keine Mühe, seine Gereiztheit zu überspielen. »Ich lebe gern allein –
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